Kastanienfest in der Schaubühne Lindenfels (Britta Paasche)

30.10.2002 Schaubühne Lindenfels

?Es lebe Kastanien! Her mit dem Schlaraffenland!?
Fest III, mit Wolfgang Krause-Zwieback und René Reinhardt


Kastanienfest

Kabarettist und Wortakrobat Wolfgang Krause-Zwieback und Schaubühnenleiter René Reinhardt haben sich zusammengetan und zum Kastanienfest eingeladen. Sie gestalteten einen Abend rund um Sehnsüchte, Visionen und Utopien.

Mit dem Kauf der Eintrittskarte erhielt jeder Zuschauer ein zusammengefaltetes Blatt Papier und einen Bleistift. Auf dem Blatt war zu lesen: ?Es ist Herbst 2002. Treten Sie ein. Nehmen Sie Platz. Feiern Sie mit. Hören und schauen Sie. Finden Sie ihre eigene Utopie. Ist es ihr Nachbar? Sind wir es alle? Schreiben Sie hier Ihre! Utopie auf: …?. Leider waren nur wenige der Einladung zum Kastanienfest gefolgt, und so richtete sich die Bitte um eine Utopie an anfangs genau vierzehn Gäste. Doch die wenigen Anwesenden genossen die unterhaltsame und amüsante Veranstaltung sichtlich, ließen sich gerne verwöhnen und blieben bis nach Mitternacht. Dem Publikum wurden zu Collagen verflochtene Texte, Musik aus aller Welt und Filmausschnitte präsentiert. Daneben gab es ? in zweifellos liebevoller Kleinarbeit hergestellte – Installationen mit Kastanien- und Eichelmännchen zu bestaunen. Und nicht nur für das geistige Vergnügen auch für das leibliche Wohl der Zuschauer war gesorgt. Dem Willkommensgrießbrei mit Kirschen, folgten Esskastanien- und Kürbissuppe sowie geröstete Maroni. Auch Wasser und Wein gab es reichlich.

Zunächst sorgte die Anordnung von Bühne und Zuschauerraum für Irritation. Entspannung und Wohlbefinden setzten erst im Laufe des Abends ein. In den Ballsaal der Schaubühne hinein war ein quaderförmiger nach oben offener Raum errichtet. Große zusammengeklebte Folienbahnen markierten seine Wände. Darin befanden sich in loser Anordnung Tische und Stühle: freie Platzwahl für alle Zuschauer. Vereinzelt und etwas deplaziert wirkten die wenigen Gäste in diesem Raum. Einer erwarteten theatralischen Aufführung unüblich, blieb auch das Auditorium während der gesamten Veranstaltung beleuchtet. Dort sitzend, blieb einem also nicht viel mehr, als die anderen Zuschauer zu beobachten und auf das zu warten, was jetzt passieren würde.

Die Künstler agierten im Verborgenen. Auf eine Seite der Folienwände wurden Ausschnitte und Sequenzen von Stummfilmen projiziert. Durch die Bewegung und das Material der Folie immer nur gerade so sichtbar. Zu erkennen waren rauchende Clowns, eine Gendarmenjagd, exotische Marktszenen, eine Stierkampfshow, eine Schneeballschlacht oder Kinder, die Katzen fütterten. So bunt und abwechslungsreich wie das filmische Material waren auch die dargebotenen Texte. Erst abwechselnd, später gemeinsam lasen Krause-Zwieback und Reinhardt Auszüge aus verschiedensten literarischen Werken. So waren Ausschnitte aus Alessandro Barricos ?Ocean Mare? und Thomas Moorus ?Utopia? zu hören.

Am Ende wurde der Folienraum zu einer Insel der Entspannung und des zur Ruhe-Kommens. Die Künstler erschienen mit einem Servierwagen und bewirteten die Gäste eigenhändig mit Suppe und Brot. Man aß, trank Wein zusammen und kam auch miteinander ins Gespräch. Krause-Zwieback und Reinhardt ließen als Abschluss die eingesammelten Utopien der Zuschauer von anderen Zuschauern verlesen. Von ?Kirschkernen, die sich beim Essen auflösen und Kastanien, die nicht aufhören? träumte dabei ein Zuschauer. Das Konzept des Kastanienfests, den Gästen ?kulinarische und ideelle Aufrüstung gegen psychophysische Ermattungszustände? zu bieten, ist gelungen. Ein schöner Abend, den man nur ungern beendete.

(Britta Paasche)

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