Romantische Raritäten in einer ganz besonderen Präsentation

Martina Böhme und Thomasorganist Ullricht Böhme geben Orgelkonzert vierhändig im Rahmen der Mendelssohn-Festtage 2002

Die Orgel ist wohl ein Instrument, welches wegen seiner zahlreichen Klangmöglichkeiten mit keinem anderen Instrument gleichgesetzt werden kann. Allein die denkbaren Kombinationen, mit zehn Fingern und 2 Füßen verschiedenste Bereiche der klassischen Orchesterbesetzung zu decken, oder auch nur einfache Melodien so zu intonieren, dass ein Werk voller Harmonie und Zusammenklang in einem Ganzen verschmilzt, faszinieren den Zuhörer. Dass für Interpretation, Leitung, Formung und Umsetzung eine einzige Person verantwortlich ist, scheint bereits fast unglaublich. Noch unglaublicher – und deshalb so besonders an diesem Abend – ist, dass eine Orgel mit zwanzig Fingern und Doppelpedalbesetzung gespielt werden kann.

Als die Interpreten die Orgelempore betraten, wurde es ruhig in der halbwegs gut besuchten Thomaskirche. Nach der kurzen Ansage eines Veranstalters erschrie ein sagenhafter c-Moll Akkord in die Stille und verklang. Das Orgelspiel begann. Schon ab diesem Ton beeindruckte die ausgeweitete Fülle, deren Vielfältigkeit man innerhalb des Verlaufs immer mehr vernahm. Nach dem Verhall der letzten Töne ging durch den sakralen Raum ein zurückgenommenes Händeklatschen. Es ging weiter in C-Dur. Gades Andante erklang fein und romantisch aus Sauers Flötenwerk, toll auch hier die verschiedenen Registrierungskombinationen.

Eine sehr interessante Begebenheit war der plötzliche Wechsel vom vierhändigen zum zweihändigen Spiel. Martina Böhme, die sonst den oberen Tastenbereich bearbeitete, zeigte ihr beeindruckendes Können bei Mendelssohns anspruchsvollen Stücken Präludium und Fuge d-Moll. Die von der Organistin bravourös gestalteten virtuosen Klänge durchströmten das Kirchschiff und bildeten ein faszinierendes Fugato-Spiel über die Themenverarbeitungen. Dieser Wechsel brachte dem Konzert einen neuen Aufschwung, und als nach den Variationen von Hesse auch der Thomasorganist ein Solo gab, war der Rahmen einheitlich und angenehm. Nicht immer ist eine so interessante Programmgestaltung gegeben. Um so schöner, dass bei diesen romantischen Raritäten in diesem besonderen Rahmen zusätzlich ein wohlüberlegtes und verständliches Fundament gesetzt wurde.

Bereits nach einer dreiviertel Stunde gelangte das Konzert zum berühmten Pausenstrich, welcher im Programm stand und von einigen auch so interpretiert wurde (kleines Missverständnis am Rande). Die beiden Böhmes wechselten zur Bachorgel, welches der eigentliche Sinn der Pause war und auch in der Ansprache schon vorangekündigt wurde. Das war eine meiner Meinung nach gelungene Idee zur Gestaltung des Konzertes; das Klangbild war nun ein völlig anderes, verglichen mit den vorausgegangenen Werken. Beethovens Flötenuhr – bearbeitet für Orgel – war ein bemerkenswertes Ereignis. Es war dem Wiener Stil ähnlich klingend und wirkte ausgewogen und schön. Entsprechend wurde einfach und klassisch registriert. Mit Flötenregistern natürlich. Es wirkte überhaupt nicht überladen, sondern schlicht feierlich und froh. Der berühmte Schlussakkord war so, wie er auch in vielen Sinfonien am Ende zu finden ist. Seine Wiederholung hatte einen fast erheiternden Effekt auf die Zuhörer.

Den krönenden Abschluss machte Merkels dreisätzige d-Moll Sonate. Hier bekam der Zuhörer den Höhepunkt des vierhändigen Orgelspiels nun auch mit „vierfüßigem“ Spiel geboten. Wenn man überlegt, ein solches Werk zusammenhängend so darzubringen, dass man die Aufteilung in der Tastenverteilung oder Pedalläufen nicht hört, kann man die Koordination besonders würdigen. Ein Wechsel von „tutti“- Arpeggien (und zwar weitliegend von 4 Händen gespielt!) und sanften Melodien gelangen bestens. Die Interpreten schufen Klarheit und zeigten auch hier glänzende Virtuosität.

Dennoch verhielt sich das Publikum nach dem Konzert ruhig, die beiden Interpreten ernteten einen würdigenden, aber zurückhaltenden Applaus. Dies mag unter anderem an der sakralen Atmosphäre gelegen haben. Aber für viele Gäste – ich beobachtete es noch vor der Kirche beim Ausgang – war das Ganze ein sehr zu ehrendes und schönes Erlebnis, besonders weil ein solches Orgelkonzert äußerst selten geboten wird. Es war also eine sehr wichtige und wertvolle Präsentation. In diesem Zusammenhang muss nicht nur ein herzlicher Dank den Interpreten ausgesprochen werden, sondern auch dem Veranstalter und damit alle denen, die zum Gelingen dieses Konzerts beitrugen.

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