Von Prinzen und Fröschen, Chansonprogramm mit Bert Callenbach und Natalja Nikolaewa, Premiere (Babette Dieterich)

07.11.02 Frosch Café

Von Prinzen und Fröschen, Chansonprogramm mit Bert Callenbach und Natalja Nikolaewa (Premiere)


Vom Zugfahren durch die Märchen des Alltags

?Frau Wipfel, die sonst die Buchbesprechungen macht, ist heute nicht da.? Also muss Bert Callenbach einspringen und quält sich mit vielen Versprechern durch ein Märchenbuch, um schließlich abzubrechen: ?Mein Gott, des Kaisers neue Kleider, kennen Sie ja alle. Die Geschichte ist nett, doch das Buch kann ich Ihnen nicht empfehlen.?

Da hüpft er doch lieber behände wie ein Frosch, wie ein bildhübscher Prinz, wie Callenbach eben, mitten ins Leben und singt von Prinz Heinrich, der gerne Prinzessin sein möchte. Oder von heiß küssenden Lippen. Und er plaudert ein wenig aus dem Nähkästchen jener büchervernarrten Frau Wipfel, heute abwesend, aber womöglich, wie das so ihre Art ist, mal wieder auf Exhibitionistenpirsch. Irgendwann wird es ihm zu heiß, er legt das Jackett zur Seite, bindet die 70er-Jahre-Breitwand-Krawatte ab, wofür wir ihm sehr dankbar sind, und macht uns mit hochgekrempelten Ärmeln den Tiger.

Dann ist auch sein Nähkästchen dran. Ganz privat in der Kaffeetasse rührend, erzählt er uns von einem Typen, mit dem er es bereits 1000 Nächte aushält. Außen Adonis, innen Neandertaler, eine verteufelte Mischung. Er lässt ihn jeden Morgen ausschlafen, um in der Zwischenzeit, bis er zum Frühstück trottet, über ihn zu schimpfen. Da kommen dann so gewisse Abgründe zu Tage, die dem spritzigen Chansonprogramm seinen Tiefgang verleihen.

Man fragt sich die ganze Zeit: Wer ist diese wunderschöne, auffallend rot gekleidete Dame am Klavier? Natalja Nikolaewa, so steht’s im Programmheft. Doch man wartet darauf, dass sich da etwas entspinnt, dass das Geheimnis gelüpft wird, welches diese Erscheinung ausstrahlt. Sie begleitet souverän, singt an wenigen Stellen auch eine zweite Stimme, und doch kommt es einem so vor, als würden die beiden Akteure eher für sich als gemeinsam auf der Bühne agieren. Bestimmt eine Herausforderung für die Regie, diese Pianistin noch mehr ins Konzept des Programms mit einzubeziehen.

Im zweiten Teil des Abends zieht Bert Callenbach nochmals alle Register und mimt im Falsett eine Möchtegern-Opernsängerin, die mit ihrem Gesang alle Lebewesen in ihrer Nähe zu Tode singt. Als Maurer aus musischem Hause – Schwester Mystikerin, Mutter Sopran, Vater Dramatiker ? erzählt er vom Unverständnis seiner Arbeitskollegen, wenn er in der Pause lieber einen Martini statt einem Bier trinkt. Diese groteske Lebensgeschichte mündet in ein herrlich ironisches Plädoyer von Funny van Dannen, ?Künstler sind nicht überflüssig, (…) weil sie so gut in unsre Gesellschaft passen.?

Schließlich setzt sich Callenbach in den Zug, und da widerfahren ihm märchenhaft alltägliche Dinge. In einem intensiven Text von Friedhelm Kändler erzählt er von einer zufälligen Dreiecksbeziehung im Zugabteil, die scheinbar nur aus kleinsten Berührungen und Gesten besteht, und doch große Gefühle und Selbstzweifel bei den Beteiligten auslöst. Atemlos folgt danach das Lied ?Im Zug nach Paris? von Georgette Dee, drängend und voller Sehnsucht.

In diesen Zuggeschichten spürt man eine dichte und schlüssige Dramaturgie, die andere Teile des Abends noch etwas vermissen lassen. Auch ist es schade, dass der rote Faden, den man zu Beginn mit dem Märchenbuch knüpfte, nicht weitergesponnen wird. Es wäre bestimmt zu penetrant, wenn den ganzen Abend über nur von Fröschen und Prinzen erzählt würde. Doch das Märchenhafte, das sich gerade auch in alltäglichen Situationen wie Zugfahren wiederfindet, könnte noch verstärkt werden, wenn dieses Märchenbuch wie ein Symbol immer wieder auftaucht. Wird nicht jeder normale Mann zum Prinzen, wenn ihn rein zufällig das Knie seiner Mitreisenden von gegenüber sanft berührt?

Großer Beifall und eine vor rrrussischer Sääle triefende Zugabe, die der Pianistin gewidmet war, beendeten einen sprühenden Chansonabend, dem ich wünsche, dass er in den folgenden Veranstaltungen noch besser besucht wird. Dieses Programm, das eigens für die intime Lokalität des Frosch Cafés konzipiert wurde, zeigt einmal mehr, dass die Leipziger Chansonszene den Vergleich mit Berlin oder Köln nicht scheuen muss.

(Babette Dieterich)

Nächste Veranstaltungen: Donnerstag, 28.11.02, Freitag, 29.11.02, Samstag, 30.11.02
Karten unter: 0341 / 22 51 363

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