Musikalische Nachtschatten

Ein Konzert mit Neuer Musik im Institut Francaise Leipzig

Die Nacht, einst ein beliebtes, schwärmerisch und stimmungsvoll sensibel gestaltetes Motiv in der Musik, erfährt in den Kompositionen seit Beginn des 20. Jahrhunderts einen hörbar neuen Ausdruck. Einen Ausdruck von Angst, Finsternis und Irrationalität. Solcherart nächtlicher Spuren verfolgten das Talea Ensemble (Bassklarinette, Violine, Violoncello, Klavier) und Steffen Schleiermacher (Klavier) im Institut Francaise.

Die „Klänge der Nacht“ (Béla Bartók, 1926): ein tönendes Geheimnis nächtlicher Landschaft, die „Deux Nocturnes“ (Alexander Mosselow, 1928): das dunkel erregtes Grauen einer gewaltigen Aggression. Oder auch: Zwei musikalische Individuen (Bassklarinette und Violoncello) in tönender Umwucht sich „a pié profondi abissi“ „in tiefe Abgründe“ (Jens Marggraf, 2002) begebend. Dies alles vermittelt von Anbeginn finsterste Nacht.

John Cages „The Perilous Night“ (1944) erwächst gefahrvoll aus dem Körper eines präparierten Klaviers. Aufgehoben wird der vertraute Klang der Tasten, angenähert an den eines Streichinstrumentes, eines Schlagwerkes gar. Eine Bewegung durchs Dunkel, bangend und beharrlich zugleich. Einsame Schritte, zögernd richtungslos, unruhig vorwärts stolpernd, getrieben vom penetranten Lauf der Zeit.

Anders die „Nocturnes“ (1919) von Erik Satie. Sie gleichen einem ziellosen Gedankenflug durch Sphären eines Traumes und schaffen dennoch gangbare Wege, entsprechend einem Dialog vom Verschwinden und Vergessen, vom Finden und Erfinden. Wolfgang Rihm hält diese „schwebenden Echoschatten“, ehe sie erneut vergehen in „Chiffre IV“ (1984) fest. Doch ohne Widerhall: konkret, scharf und einschneidend. Nur für kurze Zeit, denn schon beginnt „Night Music II“ (George Crumb, 1964), der bizarr gehaucht, gezupft, gedämpfte Kampf von Violine und Klavier um die Seufzer aus dem Publikum.

Am Ende wird in „Nyx“ (Knut Müller, 2002) nach der griechischen Mythologie die Nacht selbst in Persona und in aller Ungeduld mit Getöse aus den Tiefen gestiegen sein, damit sie „das Schicksal, das grause, das finstere Ende [und mancherorts selbst den Schlaf] gebar“.

Ein fraglos eindrucksvoller Abend. Gewaltig und schlicht zugleich. Schonungslos ehrlich im Ausdruck nächtlicher Schattenbilder. Denen des Grauens bisweilen entkommen zu wollen, mag die Unerbittlichkeit aller dunkler Erfahrungen mit sich bringen.

08.11 2002, Institut Francaise Leipzig

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