Ernsthafte Schönheit und heroische Leidenschaft

Das MDR Sinfonieorchester unter Fabio Luisi spielen Werke von Richard Strauss

Richard Strauss war nicht nur ein Titan unter den Sinfonikern des 19. und 20. Jahrhunderts, sondern zweifelsohne auch eines der letzten großen Genies in der Musikgeschichte überhaupt. Zahlreiche Werke seines breiten Schaffens erfreuen sich größter Popularität und sorgen selbst an einem Sonntagmorgen für ein ordentlich gefülltes Gewandhaus. Zum zweiten Matinée-Konzert der Saison hatten sich Fabio Luisi und sein MDR-Sinfonieorchester mit „Don Juan“ und „Ein Heldenleben“ zwei Publikumsmagnete vorgenommen, deren Partitur für jedes große moderne Orchester virtuose Herausforderung und Orgie zugleich darstellen kann. Dazwischen versprachen die „Vier letzten Lieder“ als Vermächtnis des Komponisten einen Höhepunkt der anderen Art.

Feurig, stürmisch und leidenschaftlich drängend geht Luisi mit seinen Musikern zunächst den Geniestreich des 25-jährigen Richard Strauss an, fordert vom ersten Takt an das Äußerste an Intensität und Dramatik. Die Streicher warten mit sattem, homogenem Klang auf, das Blech tönt edel, ohne aus dem Klangbild herauszufallen, und in den Holzbläsern lassen gesangliche Soli aufhorchen, von denen das wunderbare Oboensolo besondere Erwähnung finden muss. Allerdings stürmt Luisi in seinem energiegeladenen Zugriff und dem Feuer, das zu entfachen ihm gelingt, über zärtlich innehaltende Stellen etwas hinweg, setzt ganz auf die mitreißende Wirkung der spannungsgeladenen Hauptthemen, obwohl ihm sein Orchester auch dort das letzte Quäntchen Sinnlichkeit und Schmelz verweigert. Alles in allem weiß dieser Don Juan aber zu gefallen und verfehlt seine Wirkung nicht.

Einen lyrisch verinnerlichten Kontrast zum Vorhergehenden bilden die „Vier letzten Lieder“. Die noch recht junge Annette Dasch legt in die herrlichen Stücke nach Gedichten von Hermann Hesse und Joseph von Eichendorff sehr viel Reife hinein und malt mit ihrer warmen, vielseitigen Stimme eine breite Palette an Farben, so dass sich Schönheit und Ernsthaftigkeit dieser Lieder entfalten können. Ihr Gesang ist dabei so beseelt und anrührend, dass es kaum ins Gewicht fällt, wenn sie vielleicht noch nicht über den ganz großen Atem einer Cheryl Studer oder Jessye Norman verfügt.

Von Seiten des Orchesters will hier aber nicht sofort zusammenwachsen, was zusammengehört. Zu wenig selbstverständlich kommt vieles daher, rhythmisch und klanglich stimmt die Balance nicht immer. Erst mit dem betörenden Hornsolo in „September“ scheint es, als ob sich die verschiedenen Gruppen des Orchesters untereinander und gemeinsam mit der Solistin zu einem gelösten Musizieren zusammenfinden und nun auch große Momente gestalten. Leider scheinen die Holzbläser trotz ordentlich bis ausgezeichneter Einzelleistungen als Gruppe mitunter nur nach dem An/Aus-Prinzip zu funktionieren und zerstören ein ums andere Mal stimmungsvoll ausklingende Szenen.

Nach der Pause dann das wuchtig-brachiale „Heldenleben“. Hier knüpft Luisi da an, wo er bei „Don Juan“ aufgehört hat und gibt dem Affen wieder viel Zucker, muss allerdings mehr Tribut zahlen. Die Blechbläser schießen mehrfach über das Ziel hinaus und lassen sich bisweilen etwas unkultiviert vernehmen, das Klangbild wirkt teilweise unausgewogen. Hinsichtlich dynamischer Differenziertheit wünscht man sich überhaupt deutlich mehr von Luisi und den MDR-Sinfonikern. Dennoch zeigen sie, was sie haben und können, wuchern mit Virtuosität und kraftvollem Klang und stellen die Konflikte in „Des Helden Wallstatt“ mit geradezu verstörender Intensität und Eindringlichkeit dar. Andreas Hartmann geigt sich souverän durch „Des Helden Gefährtin“ und führt am Ende das Orchester gemeinsam mit Luisi zu stimmungsvoller „Weltflucht und Vollendung“.

Richard Strauss:
Don Juan. Tondichtung nach Nikolaus Lenau für großes Orchester
Vier letzte Lieder
Ein Heldenleben. Sinfonische Dichtung für großes Orchester

MDR-Sinfonieorchester
Fabio Luisi

Annette Dasch, Sopran

10. November 2002, Gewandhaus, Großer Saal

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