Viele Fragen, keine Antwort

Eine Inszenierung des Projektensembles für Klang, Raum, Farben und Bewegung mit EUPHORIUM_freakestra featuring Günter „Baby“ Sommer und Friedrich Schenker

„Drogenkonsum. Bier trinken. Räucherstäbchen. Guck mal, die Haut.“ Der Sinn der Aneinanderreihung dieser Worten erschließt sich Ihnen nicht ganz? Macht nichts! So – nämlich völlig verwirrt – erlebte das Publikum auch etwas namens „DRZK.w ä h u h°“ in der naTo: „EUPHORIUM_freakestra featuring Günter „Baby“ Sommer & Friedrich Schenker, eine Inszenierung des Projektensembles für Klang, Raum, Farben und Bewegung?. Und DRZK.w ä h u h° ging so: Etliche Freunde der hemmungslosen Improvisationswut fanden sich ein zu einer interdisziplinären Performance, die dem Publikum so einiges abverlangte. Die Dummen in der ersten Reihe verließen nach drei(!) äußerst ereignisreichen Stunden nass (Wasser, Bier, Kaffee), schmutzig (Stroh, Kürbismatsch) und mit einem kleineren Hörschaden den übervollen Konzertraum.

Aber der Reihe nach. Mit einer Runde Liegestützen und Stöhnen leitete man den Abend ein, bevor es richtig los ging. Und es ging wirklich richtig los: Hinter aussagekräftigen Songtiteln wie „Seibobleier soschge“, „Drosander kaliopsis“ oder „wijm lal“ verbarg sich eine Bandbreite effektbeladener Stücke. Von gediegen-jazzig über elektronisch bis treibend-rockig. Hauptsache laut, laut, laut. Zusätzlich zu der ohnehin anstrengenden, weil äußerst frei improvisierten Musik (man wurde einfach das Gefühl nicht los, jeder macht sein eigenes virtuoses Ding), wurden Auge und Ohr des Zuschauers auf eine Videoprojektion im Hintergrund, Tonbandeinspielungen und eine ebenfalls improvisierte Tanzperformance vor der Bühne gelenkt. Zwischendurch rezitierte man aus dem dadaistisch angehauchten Manifest „Frisur oder Gänsebraten“ des Ensembles. Kleine Kostprobe gefällig? „Die Seifenbinde entsprach sich der entgleisten Optik und verwies den Zusammenhang in seidene Strümpfe.“

Dann: ein improvisiertes Gespräch mit dem Publikum. Das ging leider ziemlich in die Hose, da selbiges zu diesem Zeitpunkt schon völlig geplättet war. Nach etwa 90 Minuten brach Anarchie aus. Rückkopplung ohne Ende, Krach vom Band, Stroh, Wasser, Bier, Kürbisspaltung: Alle Mitwirkenden des Abends schienen ihre immer noch vorhandenen Aggressionen auf der Bühne ausleben zu müssen, was die bereits erwähnte Verschmutzung des Publikums zur Folge hatte. Die oft an die Happening- und Eventbewegung der sechziger Jahre erinnernde Performance an dieser Stelle abzubrechen, wäre das einzig Sinnvolle gewesen. Statt dessen ging es munter auf die gleiche Weise weiter…

Das Hauptanliegen der jungen Musiker, nämlich die maßgebliche Rolle Schenkers und Sommers in der deutschen Musiklandschaft zu würdigen, ging dabei leider unter. Schuld daran war nicht zuletzt die multimediale Reizüberflutung. Schenkers Aufgabe in der Inszenierung war weitgehend darauf beschränkt, mit einer Posaune senkrecht auf dem Kopf etwas verloren herumzuirren, dabei in ein Posaunenmundstück zu spucken und sinnige Sentenzen wie „Kultur muss ja sein..“ von sich zu geben. Einzig Günter „Baby“ Sommer erhielt eine kurze Gelegenheit, alleine auf seinem Instrument zu brillieren. Er bearbeitete das Schlagzeug mit seinen Ellbogen, seine Hände kratzen, hackten und seine Stimme ahmte das rhythmisch mitreißende Getrommel lautmalerisch nach: der heimliche Höhepunkt des Abends.

Zum Abschluss der langatmigen Performance kochte man Reis auf der Bühne, während sich der werte Herr Saxophonist seiner Kleider entledigte (vollständig) und mit seinem Instrument in einem Planschbecken Platz nahm. Das nahm das Publikum relativ ungerührt auf – irgendwie wunderte man sich nach diesen drei Stunden über gar nichts mehr. Viele gingen einfach.

Für die künstlerische Leitung war Oliver Schwerdt („mitunter/überhalb Redde Kette“, so das Programm) verantwortlich. Nur nannte der sich den ganzen Abend Birg Borgenthal. Aber das muss man wahrscheinlich auch nicht verstehen.

DRZK.w ä h u h°

Hartmut Dorschner (Saxophone) Gero Kuntermann (Gitarre)
Friedrich Kettlitz (alle Gitarren, Stimme, Polizeistaat) Beate Wein (Gesang)
Birg Borgenthal (Tasten) Jan Filkorn (Kamera)
Sebastian Waack (Bass) Schambe ( )
Jens Schneider (Schlagzeug) Börte Blomengrauss (Tanz)
Guillaume Maupin (Stimme, Gitarre, Duke Ellington) Kirkling Botschas (Agent)
Hermann Grüneberg (Schlagzeug) John Entwistle (unterwegs)
Michael Glucharen (Trompete) Gudrun Pappelteich (Regie)

Künstlerische Leitung: Oliver Schwerdt, mitunter/überhalb Redde Kette

10. November 2002, naTo

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