Alles unter eine Krone bekommen: Schillers Maria Stuart am neueröffneten Schauspielhaus (Anna Kaleri)

16.11.02 Schauspielhaus Leipzig

Friedrich Schiller: Maria Stuart (Premiere)
Regie: Karin Henkel


Der Kopf der Königin

?In g r o ß e s Unglück lehrt ein edles Herz
sich endlich finden, aber wehe tut´s …?

Zwei royale Damen und ?als wären es Könige beim Schach – nur eine kann überleben. Ein facettenreiches Spiel um Politik, Hass, Liebe und Verrat, das nicht schwarz-weiß gezeichnet wird. Mit der Neuinszenierung von Schillers ?Maria Stuart? hat sich das Leipziger Schauspiel aufgerafft, nicht nur zu königlichen, shakespearisch-immermenschlichen Themen, sondern auch zum Sublimen auf großer Bühne und einer gelungenen Mischung von klassischem Stoff im popartigen Scheinwerferlicht.

Sie sind Verwandte und müssen sich hassen von Geburt an: Elisabeth, Königin von England, und die schottische Königin Maria Stuart, die beide einen rechtmäßigen Anspruch auf den englischen Thron hegen. Die eine protestantisch, die andere Papistin, die eine durchlebt tiefe Minderwertigkeitsgefühle und muss um Männergunst ebenso kämpfen wie um die Sicherheit ihres Throns, die andere ist von der Wiege an so begünstigt, dass man ihr die Verfehlungen des Herzens bis hin zum Gattenmord verzeiht. Marias Amme: ?…Es gibt böse Geister,/ Die in des Menschen unverwahrter Brust/ Sich augenblicklich ihren Wohnplatz nehmen,/ Die schnell in uns das Schreckliche begehn/ Und zu der Höll entfliehend, das Entsetzen/ In dem unbefleckten Busen hinterlassen.?

Es sind zwei Grundprinzipien, die Schiller gegeneinander ausspielt, das sokratische gegen das sophistische, das leidenschaftlich-aufrichtige gegen das rhetorisch sich den Gegebenheiten anpassende; dabei bleiben Seitenhiebe auf den englischen Parlamentarismus und dessen Windwendigkeit nicht aus. Hier ringen Willkür und Gerechtigkeitsempfinden. Baron von Burleigh zu Maria: ?Ob du sie anerkennst (die Richter), ob nicht, Mylady,/ Das ist nur eine leere Förmlichkeit, /Die des Gerichtes Lauf nicht hemmen kann.?

Ein Lieblingsthema des Intendanten Wolfgang Engel ist die unlösbare Verbindung von privaten Regungen und öffentlichem Handeln. In der Inszenierung von Karin Henkel wirken Schillers säkularisierte Heilige angenehm wenig ikonenhaft. Maria Stuart, leidenschaftlich durchwirkt von Liv-Juliane Barine, steht einer ebenso dem Schicksal ausgelieferten, ebenso schönen Elisabeth (Konstanze Becker) gegenüber; beide sind Sympathieträger, keine ist zu beneiden um die eine oder andere Art des Eingesperrtseins in das Korsett der Konventionen, wie beinamputiert im Bürorollstuhl umzingelt von Erwartungen in dieser verkehrten Welt, in der Frauen offiziell das Zepter führen und geduzt werden von Männern, die durch das Bett hindurch regieren. Selbst die vertraute Amme der Maria wird von einem Mann (Marco Albrecht) gespielt. Anklänge an das Leben der Lady Di werden wach und zunehmendes Vordringen der Öffentlichkeit in das Private a l? big brother. Auch wird die tiefere Bedeutung von ?Good save our Queen? erhellt: Man bewahre die Stabilität der Krone, auf welchem Haupt sie auch sei.

?Gehorsam ist meine ganze Klugheit? – an manchen zu schnell im Amt aufgestiegenen Zeitgenossen erinnert der eilfertige Vasall Davison (Martin Reik), der zum Opfer seiner Ziele und ein Endglied in einer Kette von Schuldverschiebung wird. Immer wieder entpuppen sich Freunde als Feinde und umgekehrt, gibt es überraschende Wendungen. Über allen Figuren dieses Schiller’schen Panoptikums hängt die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit von Menschen, wie sie von der betrogenen Elisabeth gestellt wird: ?Wem darf ich traun, wenn e r mich hinterging?/ E r, den ich groß gemacht vor allen Großen,/ Der mir der Nächste stets am Herzen war.?

Eine Königin muss unausweichlich ihren Kopf auf dem Schafott lassen. Beide tragen am Schluss blutrot und Maria sogar (warum?) die gleiche Haarfarbe wie ihre nahe, ferne, zaudernde, schwankende Verwandte. Beide sind schon puppenhaft tot vor dem Sterben und Maria muss die letzten Schritte noch im Sinne der Etikette gehen, damit der Nachwelt würdige Bilder überliefert werden. Sie geht ins gleißende Licht mit erhobenem Arm, als wär´s der, den Elisabeth in einigen Szenen zuvor ?verlor?.

Beinahe frenetischer Applaus und kein Lächeln auf den Gesichtern der Darsteller; sie haben ihr Bestes gegeben. Beifall für eine anspielungsreiche Inszenierung, für das Bühnenbild (Henrike Engel) mit gutgelösten Möglichkeiten für parallele Szenen. Die technischen Effekte der rekonstruierten Bühne wurden einen kleinen Hauch zu viel genutzt und natürlich muss Wasser verspritzt werden, müssen Rauchallergiker im Publikum vor unterdrücktem Husten fast sterben…, werden englische, halblesbare Slogans projiziert und ein wenig in Richtung Berliner Theaterschrillheit kokettiert. Das ist aber der Tribut eines Stadttheaters, das mit diesem Stück verschiedenste Ansprüche unter einen Hut bekommt, pardon unter eine Krone.
?…wehe tut´s/ Des Lebens kleine Zierden zu entbehren.?


(Anna Kaleri)

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