Persische Laute und iranische Trommel

Rudolf Conrad gibt einen Vortrag und ein Konzert mit morgenländischer Musik

Die persische Musik basiert, ähnlich wie die indische, auf modusbezogener Improvisation, das heißt, in festen Formen mit einem bestimmten Charakter wird mit einer festgelegten Zusammenstellung von Tönen und für den Modus typischen Rhythmen und Melodieformen gearbeitet.

Das heißt wiederum auch, dass mit europäischem harmoniebezogenem Hören und werkbezogener Denkweise nicht viel zu erreichen ist, um nicht zu sagen: man hat kein Ohr dafür. Wie für alles Fremde müssen auch für fremde Musik erst Brücken gefunden werden – jeder nach seiner Art – um zu verstehen, wie sie gemeint ist. Musik funktioniert nicht von allein als Universalsprache, auch sie fordert in der Begegnung Neugier, innere Flexibilität und besonders Geduld, ehe man sie erlernt.

Blickt man zurück auf gemeinsame Wurzeln, so landet man im 6. Jahrhundert, in dem das aufkeimende Christentum in Abkehrung von antiken Bildungsidealen mehrere Akademien schließen ließ. Speziell aus der Akademie von Athen bewegten sich viele Gelehrte Richtung Orient, wo sie die arabische Bildungstradition mit offenen Armen aufnahm. So wie die arabische Wissenschaftswelt später dem europäischen Mittelalter auf die Sprünge half, so profitierten die Araber jetzt von griechischen und römischen Wissensgütern.

Für die musikalische Welt hatten besonders die Theorien Bedeutung, aber auch die modalen Systeme, die hier auf größtenteils pentatonische Folklore stießen, wurden Grundbestandteil der Kunstmusik. Da die muslimische Musik zudem stark an rhetorischen Mitteln oder gar an den Sprachmelodien poetischer Rezitationen selbst orientiert ist, ergibt sich ein weites Feld an Beeinflussungen.

In der wechselhaften Geschichte Irans vereinen sich verschiedene Kulturelemente, in der Musik ist durch die Dominanz orientalischer Instrumente im Osten (Indien) und später in Großteilen Europas weiterhin eine elementare Brücke geschaffen, die man deutlich wahrnehmen kann.

So erinnert der Lautenklang des viersaitigen Setar an Musik europäischer Renaissance, beim sechssaitigen Tar ist eher die indische und chinesische Lautentradition zu hören. Ob man diese Bezüge aber hört oder nicht, entscheidend war beim Konzert der Moment, an dem man die innige Beziehung zwischen Jamal Samawati und seinen Instrumenten verstanden hat.

Das bescheidene, auf die Kunst bezogene Auftreten des weltweit agierenden Iraners machte es leichter, die Sinne für ein anderes Herangehen an Musik auszurichten. In einer Musik, die von der wechselvollen Beziehung zwischen Einzeltönen lebt, deren jeder seine eigene Wichtung und Charakteristik hat, spielt es keine Rolle, wenn das Instrument oftmals nachgestimmt wird, denn die dabei angeschlagene Quinte scheint in das Spiel integriert zu sein. Ebenso wartet man den Beginn des Stückes geduldig ab, denn durch Samawatis Hinweis weiß man, dass die Klangfelle des Tar den Musiker warten lassen, ihn verstimmen und einstimmen lassen, bis sie sich zum klangvollen Einsatz bereitfinden.

Noch eindrucksvoller begegnet einem diese Beziehung bei Mohammad Mortazavi und seiner Trommel. Der Tonbak ist ein höchst interessantes Instrument, dem mit Fell, Korpus und verschiedenen Handhaltungen weit über zehn Klangfarben zu entlocken sind. Mortazavi reizt dabei sämtliche Varianten aus, vom Einsatz von Fingernägeln auf dem Fell, Benutzen jeglicher Handteile, Fläche, Ballen, Finger einzeln und im Verbund, auch deren Knochen, über die verschiedenen Fellteile, ob die bassige Mitte, das trockene Randflächenfeld oder den harten, hellen Rand, bis zu den Holztönen des Korpus, das alles in routinierter (im besten Sinne) Geschwindigkeitsvarianz.

An diesem Punkt setzte ein weiterer Erkenntnispunkt ein. Ein Bewusstsein für die nach Orten oder Personen benannten Sätze Gusché, in denen die Modi ausgeführt wurden, bekam man erst mit einem gewissen Verständnis für die feinen Tempoübergänge, die zu erkennen gerade die Kunstfertigkeit der beiden Musiker schwieriger machte. Bekam man aber ein Auge für die kleinen Zeichen wie das leichte Zunicken, ein Ohr für einen erkennbar gleichmäßig-metrischen Aufbau, das Einsetzen einer klaren Melodie und anderes, wuchs auch die Freude über die kreative Kommunikation der Interpreten.

Ob man die Radifs, die musikalischen Formen, dann alle auseinanderhalten konnte, wog dabei weniger. Auch die unterschiedlichen Modulationen wie im Magham Gerdi oder das Gleichbleiben wie im schmerzlichen Segah blieben dann nebensächlich und gehören sicherlich zum Genuss eines geübteren Hörers.

Was für den Zuhörer zählt, ist das ungewohnte Achten auf die subtile Atmosphäre eines gleichharmonischen Tonmaterials, auf kleinste Bewegungen, mehr oder weniger rhythmisch gleichmäßig begleitet. Aber gerade Dastgah, die persische Kunstmusik, macht es einem leichter als etwa die wesentlich komplexere, indische klassische Musik, denn unser melodieverliebtes Ohr kann sich auch an harmonisierten Melodien erfreuen, wie etwa dem letzten Lied des Abends, das mit seinem stolzen, fast militärischen Charakter und der überbordenden Virtuosität dem Publikum stürmischen Beifall entriss.

Diese Natürlichkeit, die der europäischen klassischen Musik und besonders ihrer Präsentation oft abgeht, ist geradezu wohltuend, und man verzeiht dem Meister auch das Weglassen der Zugabe, wenn er in jener respektvoll demütigen Weise sein Instrument wegen Saitenriss entschuldigt.

Wie ein Herr im Saal immer wieder betonte: ein seltenes, wertvolles Konzerterlebnis.



Dastgah – die klassische persische Kunstmusik
Vortrag mit Dias und Tonbeispielen von Rudolf Conrad

19. November 2002, 20 Uhr, Mendelssohn-Saal

18. November 2002, 18 Uhr, Mendelssohn-Saal

Musik aus tausendundeinem Ornament
Jamal Samawati – Tar, Setar; Mohammad Mortazavi – Tonbak

Programm

Magham Gerdi
Improvisation mit Setar und TonbakPuls
Improvisation auf dem TonbakSegah
Improvisation mit Tar und Tonbak
Persische Laute und iranische Trommel


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