Alexander Osang: „89. Helden-Geschichten“

Der Autor kommt gut an und verspricht noch, hier in zweiJahren an der Universität literarischen Journalismus zu lehren

Vornehmlich junges Publikum, auch die über 30, größtenteils im Pullover, fast keine Hemdträger, 70 % Frauen, nette Grundstimmung im Haus des Buches zu Nikolaus 2002. Eine Lesung von Alexander Osang. Bekannt aus der Spiegellektüre und der BZ-Kolumne. New York-Korrespondent. Jahrgang 1962. In den besten Jahren in die Neue Weltordnung (Georg Bush) entlassen. Heute im grauen Hemd, nicht in der Hose steckend, der oberste Knopf ist auf, aber es sieht so aus, als wären noch weitere Knöpfe auf. Das Jackett wird unbekümmert auf den Boden neben den Stuhl gelegt. Literarische Publizistik wird angekündigt. Zur Vorstellung liest Alexander Osang das Vorwort zu „89. Helden Geschichten“. Es ist die Beschreibung seines Lebens vom Ende der DDR bis zum 11.09.01 in New York. Während sein Schwager, dem auch im weiteren Verlauf dieses Abends eine wichtige Rolle zufällt, 1989 über Ungarn in den Westen türmte, blieb Osang in Berlin, arbeitete als Wirtschaftsjournalist, fuhr sein erstes Auto, einen Polski Fiat, der ihm vom Schwager überlassen wurde, und legt sich am 09.11. ins Bett. Am 11.09. war es anders: ?Dichter heran konnte ich nicht mehr.? Scheinbar, fügt er mehrfach hinzu.

Zwischen den lakonischen Bemerkungen über den Schwager, den ersten Wagen, die ebenfalls überlassene Wohnung mit Balkon (der keine tragende Rolle spielt), der Wende und den schwarzen Staubwolken, die von verschiedenen Seiten auf ihn zukommen und ihn schließlich einschließen, liegt eine Menge Erheiterung des Publikums und ein kurzer weiter Weg.

Es scheint so einfach zu sein. Man geht zu ein paar Leuten, führt einige Gespräche, liest noch ein wenig und dann schreibt man ganz leicht alles herunter und fertig ist die Reportage oder fügt noch ein paar Sätze in der ersten Person hinzu und hat eine Kolumne. Man hält fest, was man sieht. Vielleicht würzt man das Ganze mit historischen Vergleichen, je nach Artikelgattung möglicherweise aus dem eigenen Leben. Man braucht keinen großen Hintergrund dafür. Um so leichter müßte es sein, wenn man in New York lebt, mehr Geld hat, als man zum Leben braucht und eine Chefredaktion, die einen machen läßt. Daß dabei so wunderbar lesbare, unterhaltsame, vielleicht berauschende Artikel herauskommen – da kann Alexander Osang noch so unbekümmert erscheinen -, ist das Ergebnis aufwendiger Recherchen, intensiver Beobachtungen und Schreibroutine. Er sagt: ?Ich verbringe so viel Zeit mit ihnen [den Befragten], wie sie wollen ? so viel Zeit wie geht.? Seine Artikel bleiben trotz der Fülle der Eindrücke und Informationen bündig und auf den ersten Blick oberflächlich. Passen sie in ein Nachrichtenmagazin? Nein. Sie gehören in ein Reportagemagazin ? Spiegelreporter, ?ein Heft, das ja leider verstorben ist nach anderthalb Jahren.? Sie ergänzen das Bild, das wir aus der Tageszeitung und aus dem Fernsehen gewinnen. Schlagzeilen und dpa-Meldungen sehen anders aus.

?Ich lese die Reden des Präsidenten. Aber wie seinerzeit Günter Mittag in seinen Ansprachen zur ökonomischen Strategie des Sozialismus wiederholt Bush immer nur sein Ziel. Er argumentiert nicht, er predigt. Saddam ist böse, Bush ist gut.? ? heißt es unter der Überschrift Signs in seiner Kolumne SCHÖNE NEUE WELT in der Berliner Zeitung vom 05.10.02.

?Ich suche nach Brücken?, sagt er. ?Ich glaube, daß man letztlich über sich selbst schreibt.? Und: ?Ich hab son bißchen einen Hang zu Verlierern. Ich mag Verlierer.? Er beschreibt seine Reise, von Deutschland nach Amerika, von der DDR in die BRD, von Berlin nach New York. Unter Umständen sind seine Vergleiche der verschiedenen Erfahrungen nicht plausibel, unter Umständen abwegig, und sie machen doch einen so wichtigen Teil seines Schreibens aus. Sein Blick scheint naiv, aufrichtig und von Überforderung gekennzeichnet. Aber das ist nicht sein Blick ? das ist unser Blick. Er baut die Brücke. Er sagt, er sitze gerne in den Wohnzimmern der Leute, mit denen er zu Zwecken der Recherche oder zum Interview spricht, manchmal auch diskutiert, aber nur manchmal. Daß er mit diesem oder jenem sprechen darf, z. B. mit John Updike, findet er verwunderlich, ?euphorisch darüber, daß er mich nicht rausschmeißt.? Aber er ist ?ein begnadeter Geschichtenfinder und Stadtbeschreiber? (Peter Carstens).

Er tut so harmlos. Er ist es nicht.

An diesem Abend in Leipzig erfreut sich Alexander Osang großer Beliebtheit. Zum Abschied verspricht er noch, daß er, wenn sein neuer Zweijahresvertrag für New York ausläuft, nach Leipzig kommt und an der Universität literarischen Journalismus lehren wird. Aber was hat er über Tom Kummer gesagt…

Alexander Osang: 89. Helden-Geschichten
06.12.02, Haus des Buches

Ein Kommentar anzeigen

  1. Spiegel-Reporter Osang ist in der Tat ein „begnadeter Geschichtenerfinder“: In seinem Buch „89“ bezeichnet er den Staub, der nach dem Zusammensturz der Twin Towers in Manhattan lag, wiederholt als „Asche“. Er suggeriert damit, dass es sich um Rückstände der Brände gehandelt habe und nicht um pulverisierten Beton. Auf subtile Weise stützt er so die offizielle Version, dass die Brände Einsturzursache gewesen seien.

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