Den Winter im Herzen

Kammermusik und Film mit: „Ein Herz im Winter” und Musik von Ravel und Debussy

Die Seele sei das Gefängnis des Körpers, behauptete der französische Philosoph Michel Foucault. Er widersprach damit der anders lautenden und weit verbreiteten Vorstellung des Körpers als Gefängnis der Seele. Der 1992 gedrehte Film „Ein Herz im Winter“ von Claude Sautet scheint die Richtigkeit von Foucaults Behauptung zu bestätigen. Vor dem Hintergrund der Violinsonaten und des Klaviertrios von Maurice Ravel werden wir Zeuge einer unglücklichen Liebesgeschichte: Ein zurückhaltender Geigenbauer (gespielt von Daniel Auteuil) trifft auf eine wunderschöne aber unnahbare Violinvirtuosin (Emmanuelle Béart). Da er aber nicht fähig ist zu lieben, endet die Geschichte im Desaster. Er ist der Gefangene seiner gestörten Persönlichkeit, hat sich in einen Zustand völliger gefühlsmäßiger Isolation begeben und scheint sich dabei eigentlich ganz wohl zu fühlen.

Diese süße Verzweiflung spiegelt sich auch in der Musik Ravels wider. Im Zusammenhang mit diesem Film, scheint die Musik jenen Zustand der völligen Einsamkeit, so wie Daniel Auteuil ihn darstellt, regelrecht zu zelebrieren. Voll tiefer Trauer und doch wissend, dass es ein anderes, besseres Leben geben müsste. Oder ist die Musik ein schöner Traum, der mit der Realität nichts zu tun hat, wie der Geigenbauer zur Violinistin sagt? – Realistisch gesehen stimmt das wohl. Doch wenn dieser Musik eine Realität entspricht, wäre es interessant zu sehen, wie diese aussieht: von einem Schleier verdeckt und von eleganter, formvollendeter Tristesse und vom Glück des Leidens kündend?

So wie die Musik hier dargeboten wird, liegt diese Deutung nahe. Ihr Sinn scheint deutlich zu werden. Und die Welt, der sie entstammt, sichtbar: das Frankreich des frühen 20. Jahrhunderts. Auch Debussys Violin-Sonate in g-Moll scheint von den Leiden des Daseins zu sprechen und dabei seiner wenigen glücklichen Momente zu gedenken. Die Jeux d’eau von Ravel werden von Frank Peter auf beachtenswert vollendete Weise interpretiert, doch sind sie in diesem Programm ein wenig fehl am Platze: als ein wunderschönes, aber belangloses Spiel der Töne und der perlenden Skalen. Mit Ravels (bis auf wenige unsauber intonierte Töne) glänzend gespieltem Streichtrio setzt das schöne Leiden wieder ein. Dass ein solches Ergötzen am Leiden jedoch trügerisch ist, zeigt dann der Film. Es nimmt nicht nur einen selbst, sondern auch die engsten Mitmenschen in Beugehaft. Aber schön ist es doch.

Kammermusik und Film

Stefan Arzberger, Violine
Matthias Schreiber, Violoncello
Frank Peter, KlavierClaude Debussy: Sonate g-Moll für Violine und Klavier
Maurice Ravel: Jeux d’eau für Klavier
Maurice Ravel: Trio a-Moll für Klavier, Violine und Violoncello

12. Januar 2003, Schaubühne im Lindenfels

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