Nichts für schwache Nerven: Misery nach Stephen King (René Granzow)

20.01.03 Moritzbastei
Misery (von Simon Moore nach Stephen King)

Eine Koproduktion mit dem Theater der Jungen Welt Leipzig

Paul Sheldon: Mirko Brandkatschk
Annie Wilkes: Martina Krompholz
Nichts für schwache Nerven

Paul hat noch einmal Glück gehabt. Der bekannte Bestsellerautor wurde nach einem Autounfall im Schneesturm, wobei er sich beide Beine gebrochen hat, von Annie gerettet. Und diese ist nicht nur ehemalige Krankenschwester, sondern zufällig auch noch sein größter Fan. Auf einem abgelegenen Bauernhof pflegt sie ihn fürsorglich. Doch bald verwandelt sich Annie in eine aufbrausende, fanatische Bestie zwischen Liebe und Hass, denn Paul hat sie zu tiefst enttäuscht. In seinem letzten Roman ließ er nämlich seine Hauptfigur Misery Chastain sterben, was Annie, die sich völlig mit ihr identifiziert, aus der Bahn wirft. Und zu allem Überdruss präsentiert er ihr ein neues Buchprojekt ‚Brooklyn brennt‘, das nicht an die Misery-Romanserie anknüpft und in dem es nicht wie bisher von schmachtender Liebe und Happy End säuselt, sondern ein in Annies Augen „dreckiges“ gesellschaftskritisches Sozialdrama ist. Und da er als „der Gott“ für den Tod von Misery verantwortlich ist, könne er sie auch wieder auferstehen lassen. So zwingt Annie ihn, Misery – nach ihren Vorstellungen – wieder lebendig werden zu lassen. Jeden Tag verlangt sie ihm ein neues Kapitel ab. Mit diesem Fortsetzungsroman schreibt Paul nicht nur ein neues Leben von Misery, sondern vor allem auch um sein eigenes.

Simon Moore hat Stephen Kings weltweit erfolgreiches Buch und die effektvolle Filmadaption ‚Sie‘ von Rob Reiner wundervoll in eine Bühnenversion gebracht. In der Moritzbastei wird dieser Thriller dann auch in einer glänzend spannenden, von Moores Vorlage leicht abgewandelten 120 Minuten-Version dargeboten. Dabei bedient sich diese Bearbeitung vor allem Mitteln, die wir vom Genre Film kennen: zahlreiche kurze, dicht aneinander gereihte Szenen, unterbrochen durch schwarze Pausen mit düsterer Musik, erzeugen einen Spannungsbogen, in dem das Tempo gekonnt variiert wird, in dem die Zuschauer gefangen sind zwischen dem Wunsch davonzulaufen und der Hoffnung, alles werde gut enden.

Diese an Effekten arme und auf einer sehr kargen Bühne inszenierten Aufführung lebt von der Wandlungsfähigkeit der Darsteller und von dem Wechselgefühl ihrer Empfindungen: Annie mimt immer wieder die besorgte Krankenschwester, um gleich darauf in einem Wutausbruch Hasstiraden auf ihr Opfer loszulassen; Paul wankt zwischen weltbürgerlicher Arroganz und liebevoller Annäherung, zwischen hoffnungsloser Selbstaufgabe und bitterer Ironie. Er, der Gefangene, unternimmt alles, um aus diesem Gefängnis zu entkommen und schreibt um sein Leben, sie hingegen tut alles, um ihr Liebgewonnenes nie wieder herzugeben und schreckt dabei nicht einmal vor einer Motorsäge zurück … Dieses extreme Abhängigkeitsverhältnis birgt sehr viel Spannung, aber, teilweise auch unheimlich viel Galgenhumor in sich. Die sichtlich erregten Zuschauer zaudern und zittern bis zur letzten Sekunde. Dieses Stück erzeugt mit Hilfe einer sehr eindrucksvollen Lichtregie und einer wunderbaren Schauspielerleistung ein äußerst empfehlenswertes Theater des Schreckens – ein Muss für alle Krimifreunde. (René Granzow)

Nächste Aufführungen: 3./4.02.2003

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