Ein paradiesischer „Zauber der Musik”

Chor und Orchester des MDR geben Werke von Haydn, Ravel und Duruflé im Gewandhaus

Orchestrale Epitaphien, ein Requiem und zur Einstimmung eine schwermütig-tragische Sinfonie, deren Bezug zur Passionszeit sich keineswegs in Partitureintragungen des Komponisten erschöpft: Mit diesem Programm versprach der MDR wieder „Zauber der Musik“ – und im fast ausverkauften Gewandhaus freute man sich, dass daraus nicht zwei Stunden monumentalen Trübsinns wurden, sondern eine anrührende Begegnung mit höchst verschiedener, aber durchweg wundervoller, edler Musik.

Den Anfang machte Joseph Haydns Sinfonie in f-Moll „La Passione“, in der die MDR-Sinfoniker unter dem amerikanischen Gastdirigenten Carl St. Clair sehr konzentriert und weitgehend schlackenlos zu Werke gingen. Stimmungsvolle, warm-wehmütige Seufzer durchströmten gleich mit den ersten Takten den Saal. Und auch zwischen den dramatischen Konflikten des zweiten und vierten Satzes, inmitten ruheloser, scharf rhythmisierter Passagen, gelangen Momente voll Innigkeit und Klangsinn.

Mit Eleganz und warmem Ton ließen die Damen und Herren des MDR-Orchesters unter St. Clair einen Haydn erklingen, der rundum hätte gefallen können, wäre da nicht dieser dicke, spätromantische Gesamtklang, der einen das obligate Cembalo als permanenten Fremdkörper empfinden ließ und in den unteren dynamischen Regionen mehr als einmal dazu führte, dass Prägnanz und Deutlichkeit fast verloren gingen. Ein etwas mehr aufgerauter und damit lebendiger Ton hätte die Freude vollkommen machen können.

Aber vielleicht war man ja bereits in Gedanken mit den Werken des 20. Jahrhunderts beschäftigt, die folgen sollten – und die dem Orchester auch merklich besser liegen. So gerieten die vier Stücke aus Ravels „Le tombeau de Couperin“ unter den feingliedrig gestaltenden Händen des immer noch auswendig dirigierenden St. Clair zu einem farbenfroh-sinnlichen, aber nie zu dick auftragenden Exempel der außerordentlichen Instrumentierkunst des Maurice Ravel. Vor allem die großartigen Holzbläser, allen voran die Oboe (!), konnten mit berückenden Soli begeistern. Obwohl diese Musik eher abstrakt-absoluten, klassizistisch strengen Charakter besitzt, gab es in der sonntäglichen Aufführung nichts Gekünsteltes oder Schemenhaftes, so selbstverständlich, spielerisch und organisch kam dieses orchestrale Denkmal für den großen Couperin und seine musikalischen Formen daher.

Nach der Pause durfte man gespannt sein auf das sich in jüngerer Zeit immer größerer Aufmerksamkeit erfreuende Requiem des Pariser Organisten Maurice Duruflé. Dieses inhaltlich wie formell stark am Vorbild Gabriel Faurés angelehnte Werk ist von so sanfter Schönheit und archaischer Schlichtheit, dass man sich einerseits davor hüten muss, es zu erdrücken und ihm Gewalt anzutun, andererseits nur zu leicht in monotone Langeweile abgleitet. Doch von beidem war Carl St. Clair mit den MDR-Klangkörpern weit entfernt und wusste ausgezeichnet mit den Eigenheiten dieser herrlichen Musik umzugehen. Er ließ diese von großer Innerlichkeit und Natürlichkeit geprägte Musik den Hörer zu Einkehr und Ruhe führen, genug Raum lassend für das Licht aus einer anderen Welt und weit entfernt von der apokalyptischen Wucht der Totenmessen etwa eines Dvorak und Verdi.

Dabei kam ihm vor allem der großartige MDR-Chor entgegen, den man einfach nicht genug loben kann. Gleich mit dem „Introit“ war ein kühles, fernes Strahlen von der Orgelempore zu vernehmen, ungeheuer breit in seinen dynamischen und artikulatorischen Möglichkeiten und von einer klanglichen Substanz, die auch im leisesten Pianissimo (Atemberaubend: „Lux aeterna“) nichts an Präsenz und Ausdruckskraft einbüßt! Dabei gab es keinen Moment, an dem die zerbrechliche Zartheit irgendwie brüchig zu werden drohte. Hinzu gesellte sich die Mezzosopranistin Renée Morloc im meditativen „Pie Jesu“, deren dunkle, volle Stimme im Duett mit dem wunderbaren Solo-Cello in ergreifender Intensität kaum Fragen offen ließ, während Bariton-Kollege Konrad Jarnot einen insgesamt irdischeren, wenngleich soliden, Eindruck hinterließ. Organist Felix Friedrich und das Orchester bereiteten zu alldem einen feinnervigen, samtig-weichen Teppich, und so kam denn der Texaner St. Clair mit Leipziger Musikern wie Zuhörern auch da an, wo er nach Duruflé ankommen sollte: „In Paradisum“.

„Zauber der Musik“

MDR Sinfonieorchester
MDR Rundfunkchor (Einstudierung: Pascal Mayer)

Dirigent :
Carl St. Clair

Solisten :
Renée Morloc, Mezzosopran
Konrad Jarnot, Bariton
Felix Friedrich, Orgel

Joseph Haydn:
Sinfonie f-Moll Hob. I:49 „La Passione“
Maurice Ravel:
Le tombeau de Couperin
Maurice Duruflé:
Requiem op. 9 für Soli, Chor, Orchester und Orgel

16. Februar 2003, Gewandhaus, Großer Saal

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