Warten auf Bratsch

OSTWIND spielt in der naTo mit der französischen Band „Bratsch”

mußte man fast eine Stunde in dem – trotz horrender Eintrittspreise – gut gefüllten Saal der naTo, bevor die fünf Musiker aus Frankreich endlich mit ihrem Instrumentarium die Bühne füllten: Schwarzgekleidete Männer mit wildem Haar und mistral-gegerbten Gesichtern traten da vor das erwartungsvolle Auditorium und muteten wie die eingeschworenen Patriarchen eines Zigeunerclans an.

Und schon die ersten Klänge ließen an eine wilde Roma-Hochzeit denken – sei sie nun auf dem Balkan oder in den Straßen einer italienischen Großstadt – so genau konnte man das nicht sagen. Wenn Dan Gharibian dann zur Gitarre mit seiner rauhen Stimme ein griechisch anmutendes Liebeslied intonierte, schien Georges Moustaki auf einmal zum Leben erwacht. Doch schon entführte ein instrumentales Stück das nun wieder fröhlicher gesinnte Publikum in die Weiten der Puszta, die sich plötzlich wieder entzogen wenn Francois Castiello mit furioser Tastenakrobatik Musette-Elemente aus der französischen Heimat einflocht. Doch nicht nur als stimmgewaltiger Akkordeonist überzeugte er, auch ein paar leere Flaschen rumänischen Weins wußte er zum Klingen zu bringen. „Le diable ne peut pas chanter“ zitierte nun Bruno Girard ein Zigeunersprichwort, und doch ließ sein Geigenspiel, das in wirbelnden Läufen Rhythmen entwickelte und immer wieder brach, jeden daran zweifeln, daß hier nicht der Teufel am Werk sei. Dazu spielte Nano Peylets Klarinette auf wundersame Weise Klezmer und indische Musik zugleich, während Pierre Jaquet mit dem Kontrabaß im Hintergrund als ordnende Kraft wirkte.

Hatte man sich einmal gefangen nehmen lassen von den merkwürdig fremd und doch vertraut anmutenden Klängen, sah man vor dem inneren Auge vielleicht einen Zigeunerwagen übers Land holpern, Winde über die nordafrikanische Wüste fegen, das bunte Treiben der Pariser Flohmärkte brodeln oder über den Dächern des Schtetls die Sonne aufgehen. So mancher Konzertbesucher ließ sich gar zu ekstatischen Tänzen hinreißen und brach in helle Freude aus, wenn Nano Peylet mit Dollarscheinen um sich warf.

Was die Hörer in das Reich der Phantasie entführte, war wohl die Wirkung jener „folklore imaginaire“, die Bratsch für sich neu erfunden hat: neue musikalische Formen und Klänge treffen auf traditionelle Arrangements. Sich selbst verstehen sie auch als Vor-Traditionalisten, die Folklore eben nicht nur imitierend spielen wollen, sondern in ihren Kompositionen nach deren musikalischen Essenzen suchen, die sie in neue akustische Formen bringen. Genau dies gab dem Bratsch-Konzert die ihm eigene Poesie, auch wenn die oft hochgelobten Improvisationen Gefahr liefen, sich in der Beliebigkeit solistischer Willkür zu verlieren.

OSTWIND mit BRATSCH

Bruno Girard : Violine
Dan Gharibian : Gesang, Gitarre, Bouzouki
Pierre Jacquet : Kontrabass
François Castiello : Akkordeon
Nano Peylet : Klarinette

16.02.2003, naTo

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