HerbstSonatine – eine szenisch-musikalische Aktion für einen Heine, 3 Hechlerinnen und 3 Nägler (Babette Dieterich)

17.02.2003 Neue Szene
mund & knie 3

HerbstSonatine ? eine szenisch-musikalische Aktion für einen Heine, 3 Hechlerinnen und 3 Nägler
von Thomas Hertel

Texte: Heinrich Heine
Lieder: Wilhelm Müller / Franz Schubert
Rhythms, Sounds & Samples: Thomas Hertel


Schauerromantik auf dem Friedhof

Mit schwerem Tritt treten sie auf, die drei Nägler. Schwarze Männer in altertümlichen Wamsen und Strumpfhosen mit langem Zottelhaar, wie frisch einer Gothic-Party entsprungen. Man hört nur ihr Atmen, in das sich allmählich Frauenseufzen mischt, die drei Hechlerinnen kündigen sich luftig, oder eher gruftig an und entsteigen dem Friedhofsboden, der diesen Abend noch so manches gebären wird. Bleich, in dünnen, kurzen Unterröcken verströmt das Frauentrio morbiden Lolitacharme.

Heine ist ein Dichter des Dazwischen, meint Thomas Hertel in seinen einführenden Worten zu mund & knie 3, seiner erfolgreichen Reihe der Grenzgänge zwischen Musik, Theater und Wortakrobatik. Und das passt. Heine als der große Grenzgänger der Romantik zwischen Deutschland und Frankreich, Judentum und Christentum, Satire und Liebesgedicht. Nachdem in den ersten beiden Abenden der Veranstaltungsreihe Worte und Töne der Avantgarde zu hören waren, wird’s heute Abend schaurig romantisch.

Das ist dann auch einer der wenigen Kritikpunkte dieses Abends: Die Schauerromantik auf dem Friedhof ist ein wenig zu eindimensional und hat ihre Längen. Irgendwann wird einem das Trollgetapse der Nägler dann doch zu viel, das Geseufze der Hechlerinnen wiederholt sich und die vielen Grenzgängeraspekte, die Heine bietet, werden nur ungenügend ausgelotet. Zentral ist das Thema Liebe und Tod, dass eine wahre Liebe erst ihre Erfüllung findet, wenn man(n) kalt neben seinem Liebchen im Grab liegt. Die anderen Themen dieses Dichters des Dazwischen werden höchstens gesteift, wenn Heine ab und zu seinen Großvater mit dem Judenbart erwähnt, den Deutschen ihr Spießertum vorwirft und sein Blick sehnsuchtsvoll über den Rhein schweift.

Und überhaupt, dieser Heine, wie er uns heute Abend gezeigt wird, ist ein naiv hüpfendes Kind, das die Traurigkeit seiner eigenen Worte nicht fassen kann. Immer wieder aufbegehrend gespielt von Tobias J. Lehmann, bleibt dieser deutsch-undeutsche Dichter ebenfalls etwas eindimensional, aber liebenswert. Liebenswert auch für die drei Hechlerinnen (Constanze Becker, Carmen Betker, Anja Schneider), die mal als Vampire, mal als Nymphomaninnen über ihn herfallen. Dann wieder üben sie Posen des Altertums, stellen die drei Grazien nach, die an die Wand projiziert werden oder üben die Geburt der Venus nach Botticelli. Trotz allen Grusels spürt man eine Verspieltheit und Ironie, die dann doch wieder ganz Heine ist.

Die Hechlerinnen weben am Leichentuch des Dichters, rezitieren sein berühmtes Weberlied, begleiten den sehnsüchtig singenden Heine an verstimmten Klavieren, die Nägler (Patrick Imhof, Aurel Manthei, Günter Schoßböck) nageln den Takt dazu. Gedichte aus dem ?Buch der Lieder? und Lieder aus ?Die schöne Müllerin? (Müller/Schubert) sind Ausgangspunkt für eigenwillige Arrangements, Klang- und Sinnsuchen. Mal spielen die Damen auf mundgeblasenen Orgelpfeifen, mal sägen die Nägler im Rhythmus des Liedes. Thomas Hertel mit seinen Sounds und Samples tut sein Übriges, um diesen Abend vor allem wieder zu einem Klangerlebnis werden zu lassen.

Die HerbstSonatine im beginnenden Frühjahr endet damit, dass die Nägler den Dichter in seinem Grab zunageln. Dieses Grab erinnert an einen Sandkasten, der Dichter hat sich müde in den Sand gekuschelt und die Nägler tun ihr Werk, am Klavier begleitet von den Hechlerinnen, die ein Schlaflied anstimmen: ?Gute Ruh, gute Ruh! Tu die Augen zu! Wandrer, du müder, du bist zu Haus.? Dann werden die Kerzen ausgepustet. Applaus für einen weiteren Abend mund & knie mit viel Herz, Hirn und ein wenig Horror.

(Babette Dieterich)

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