„Unser Dorf soll schöner werden” von Klaus Chatten (Friederike Haupt)

?Unser Dorf soll schöner werden? von Klaus Chatten im Lofft (25. Februar 2003)


Der Nazi von nebenan
Wenn der Spießbürger sein wahres Gesicht zeigt

Hubert Fängewisch: Ein Mann, ein Blick, ein Schmunzeln. Dem Theaterbesucher präsentiert sich ein Rentner, den man schon unendlich oft gesehen zu haben glaubt: Im Supermarkt vor den Fertigschnitzeln, in der Bahn Richtung Schrebergartenanlage, im Kaufhaus bei den reduzierten Kordanzügen, beim Dorffest hinterm Bierausschank… Mit der braunen Strickjacke, dem karierten Flanellhemd und seinem gemütlich-großväterlichen Gesicht ist er der Typ Vorort-Opa, der einem überall begegnet, den man nach dem Weg fragt, wenn man sich irgendwo nicht auskennt.

Bequem im Gartenstuhl sitzend, die Füße im Fichtennadelbad und die Fernbedienung in Reichweite, plaudert Fängewisch über seine Schweißfüße (?Kann man nix machen ? Vererbung?), seine Sozi-Zeit, zeigt stolz die silberne Ehrennadel der SPD am Hut und wirft einen liebevollen Blick auf das angestrahlte Fachwerkhausbild an der Wand. Ein wenig jammert er über die ?Simultanten? beim Arzt, die ja eh nur Probleme mit den ?Mormonen? haben; wichtig ist es eben, ?geistlich? auf der Höhe zu bleiben. Die Zuschauer lachen und finden ihn sympathisch. So jemanden wie ihn kennt jeder.

Hobbies hat Hubert Fängewisch (gespielt von Ex-Lindenstraße-Akteur Heinz W. Krückeberg) auch: Fotos und Dias macht er von seinem Dorf Maunke, und dichten kann er auch über belangloseste Themen wie den Gummibaum (?Die Kunst ist, aus Scheiße Gold zu machen.?). Und Fernsehen ist natürlich auch wichtig, weil seine Frau dann immer irgendwann einschläft und er um die Erfüllung seiner ehelichen Pflichten herumkommt (?Sex? Nee, das ist was für die Jugend.?). Mit dem Fernsehen jedoch erhält die Fassade des Rentners erste Risse: Beim Zappen erwischt er einen Musiksender, der Shaggy`s ?Mr. Bombastic? spielt ? Grund genug, auf die Ausländer im Allgemeinen und die ?Neger? im Speziellen zu sprechen zu kommen. Das ?Asyljantenheim? im Ort ist Fängewisch ein Dorn im Auge, und dann kommt er auf seinen Sohn Dirk zu sprechen.

Dirk ist tot. Was aber an sich nicht weiter schlimm für den Vater ist, denn ?ehrlich gesagt war er nie wirklich mein Junge?. Schon der von der Frau ausgesuchte Name störte (?Pass auf, dass das mal kein Detlev wird.?), dann erfüllte der Junge nicht die an einen ?echten Mann? gestellten Ansprüche (?Der Junge hat ja nie was getrunken ? ein echter Pflegefall.?) und heulte auch noch, als Fängewisch beim Türzuknallen den Wellensittich ? inzwischen im Einmachglas konserviert ? ums Leben brachte. Später dann suchte Dirk Zuflucht bei Rechtsradikalen; warum, kann sich der Vater auch nicht erklären, aber ?der Neger hat unser Leben zerstört?.

Doch auch Hubert selbst ist vorbelastet: Wegen des Feierns von Hitlers Geburtstag wurde er aus dem Heimatverein ausgewiesen, sammelt zu Hause jedoch weiter SS-Uniformen und hütet eine alte Fahne wie seinen Augapfel. Sein Kommentar dazu: ?Wer ist denn nicht stolz, ein Deutscher zu sein??

So erhält man während der etwa 75 Minuten dauernden 1-Mann-Show immer mehr Einblicke in den latenten Rassismus der Figur; bei der Aktion ?Unser Dorf soll schöner werden?, die Maunke dank der tatkräftigen Unterstützung der Einwohner zum ?Golddorf? macht, hilft er eifrig mit und berichtet stolz von der Idee, doch allen Türken gratis die Haare zu blondieren. Die 200 Schüler der ?Blödenschule? haben an dem Tag, an dem die Jury den Ort besucht, natürlich auch nichts auf der Straße zu suchen.

Hin und wieder hat man etwas Mitleid mit dem Mann, der grinsend seine Schlagerkassette vorspielt und froh ist, wenn er abends allein mit seinem Essen vor dem Fernseher sitzen und Aktenzeichen XY gucken kann. Aber eine aufkommende Wut lässt sich nicht unterdrücken, wenn er vom Brand des ?Asyljantenheims? berichtet mit einer Gleichgültigkeit, als wäre es eine leerstehende Scheune gewesen (?Und den Kindern ist die Haut ja auch wieder angewachsen, das wird alles übertrieben.?). Wenn am Ende des Stücks Hubert Fängewisch zusammengesackt in seinem Fernsehsessel sitzt und das statische Rauschen des Geräts ohrenbetäubend laut wird, zeigt sich dadurch die ganze Sinnlosigkeit des Gesagten und die Fadenscheinigkeit der Argumente, die doch nur die Funktion haben, den Ausländerfeind in der Gesellschaft nicht anecken zu lassen.

Dem eindringlichen Spiel von Heinz W. Krückeberg und der Regie von Jürgen Zielinski ist es zu verdanken, dass eine seltene Gratwanderung zwischen Farce und Rassistenporträt gelingt, die die Zuschauer sowohl lachen als auch schauern lässt. Es ist ein seltsames Gefühl, mit dem man das Theater verlässt: Ein Unterschied zwischen der Bühnenhandlung und der Realität ist schwer auszumachen, und letztlich erhält der Begriff Heimatabend eine neue Bedeutung.

(Friederike Haupt)

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