Periphere Musik

Cristóbal Halffter und das Ensemble Avantgarde – Musik und Gespräche im vierten musica nova Konzert mit Steffen Schleiermacher

Wie klingt zeitgenössische spanische Musik? Was hat man sich darunter vorzustellen? – Diese Fragen konnten einen zum Besuch des vierten Konzerts der musica nova Reihe bewegen. Wer allerdings eine moderne Variante spanischer Folklore erwartet hatte, wurde enttäuscht. Denn zunächst klingt diese Musik wie jede andere zeitgenössische Musik auch. Das Klischee vom völlig willkürlich wirkenden Chaos aus Tönen und Klängen, das ein durchschnittlicher Hörer im Sinn hat, wenn er an moderne Musik denkt, bestätigt sich zunächst vollkommen. Das erste Werk, Antiphonismoi von 1967, fügt sich perfekt in dieses vereinfachte Bild ein. Anfang und Schluss dieses Werks bilden eine Reihe von leisen Geräuschen, die behutsam aus den Instrumenten herausgekitzelt werden. Ein sanftes Anstreichen von Obertönen am Steg der Streichinstrumente, ein vorsichtiges Hineinblasen in das Blasinstrument. Im Hauptteil dann ein weitaus aggressiveres Vorgehen und, ganz dem Klischee entsprechend, ein scheinbares Chaos. Wütende Ausbrüche am Klavier und ein Stimmengewirr von Geige, Viola, Cello, Klarinette und Flöte. Nimmt man nun dieses Gewirr als einen Gesamtklang und schaut gleichsam durch dieses Gebilde hindurch, so entsteht der Eindruck einer fast unendlichen Tiefe. Für einige kurze Momente wird eine ungeheure musikalische Intensität spürbar, bis sie einem kurz darauf wieder an der Oberfläche mit ihren zahllosen Details verloren geht. Doch klar ist nun: Es ist mehr da als nur ein unverständliches Chaos von Tönen und Klängen.

Bei Cristóbal Halffter handelt es sich vielleicht um den bedeutendsten lebenden Komponisten Spaniens. Seine Anwesenheit beim Konzert machte dieses umso interessanter, da sich nicht nur die Gelegenheit bot, einige seiner Werke zu hören, sondern auch den Komponisten selbst ein wenig kennen zu lernen. In kurzen Gesprächen mit Steffen Schleiermacher erfuhr man einiges über Halffters Werk, aber auch über seine Person. Seine Erfahrungen aus der Zeit der Franco-Diktatur etwa, in der zeitgenössische Kunst nicht so gern gesehen war, und seine Aufenthalte im deutschsprachigen Ausland. In Wien sei er einmal bei einer öffentlichen Diskussion gefragt worden, wie er, als jemand aus der Peripherie Europas, eine bestimmte musikalische Frage sehen würde. Die Antwort, er komme seiner Selbsteinschätzung nach nicht aus der Peripherie, sondern aus dem Zentrum, rief Verwunderung hervor. Mozart etwa sei für ihn nicht Zentrum, sondern Peripherie. Unverständnis bei seinen mitteleuropäischen Gesprächspartnern war die Folge. Obwohl Halffter sich selbst nicht als politischen Künstler sieht, nahm er seine Cancones de Al Andalus, die auf arabisch-spanischen Texten aus dem Mittelalter beruhen, zum Anlass, sich gegen die derzeitige Haltung seiner Regierung in der Irak-Frage zu wenden. Das kulturell überaus fruchtbare Zusammenleben von Christen, Muslimen und Juden im Spanien des Mittelalters zeige, dass es auch friedliche Lösungen geben könne.

Bei den drei Liedern von 1987/88 handelt es sich um Liebesgedichte, die eine ganz andere Tonsprache offenbaren als die Antiphonismoi aus den 60er Jahren. Es klingt alles ein wenig versöhnlicher, aber doch leidenschaftlich und intensiv, hervorragend gesungen von Ausrine Stundyte, begleitet von den Musikern des Leipziger Streichquartetts. Das Klavierstück Ecos de un antiguo órgano ist eine ganz aktuelle Komposition von Halffter aus dem Jahre 2001. Liegende tiefe Töne entwickeln durch vielfältige Aktionen in den Registern darüber ein Obertonspektrum, das das Echo einer alten Orgel darstellen soll. Dass die Interpretation Steffen Schleiermachers hervorragend ist, wurde vom Komponisten schon vorab bestätigt, aber auch ohne diese Vorschusslorbeeren war die Qualität offensichtlich, mit der Schleiermacher zeitgenössische Musik aufs Klavier bringt.

Die zweite Hälfte des Konzerts brachte dann einen sehr interessanten Einblick in das Schaffen zweier jüngerer spanischer Komponisten. Pedro Halffter, der Sohn von Cristóbal Halffter, war durch seine Palintropos-Harmonie von 2001 vertreten, jedoch nicht persönlich beim Konzert anwesend. Steffen Schleiermacher bemerkte zu diesem Werk, dass es im Vergleich zu den Werken des Vaters geradezu harmoniesüchtig sei. Das ist allerdings relativ zu sehen und heißt nicht, dass hier traditioneller Tonsatz betrieben würde. Das Stück wird von Glocken- und Vibraphonklängen bestimmt, die eine durchaus positive und angenehme Atmosphäre schaffen. Blas- und Streichinstrumente bringen hier und da eine Melodie, sonst sanfte, unaufdringliche Bewegungen.

Ganz anders dagegen ist das Werk giorno dopo giorno von José M. Sanchez-Verdu, der auch selbst an der Veranstaltung teilnahm: Ein komplexes Gebilde aus Tönen und Klängen, auf alle möglichen verschiedenen Arten aus den Instrumenten hervorgebracht. Ein wenig so wie Anfang und Schluss von Cristóbal Halffters Antiphonismomi, aber noch vielseitiger; denn es werden ungleich mehr Spielarten auf den Streich- und Blasinstrumenten verwandt. In einem der drei gespielten Sätze des eigentlich viersätzigen Werkes wird die musikalische Struktur greifbar als ein Abbild des Ein- und Ausatmens. Besonders plastisch beim Flötisten, der seine Flöte behandelt, als wäre sie ein Beatmungsgerät. Andere Strukturen verschwimmen, sobald sie erklungen sind, werden unter Umständen gar nicht deutlich. Das liegt aber zweifellos nicht an der Interpretation des Ensemble Avantgarde, die wieder einmal überzeugte.

Es stellt eine nicht geringe Herausforderung dar, dieser Musik über fast zwei Stunden aufmerksam zu folgen und sie dabei möglichst zu verstehen. Hierzu müsste man sie mindestens zweimal hören. Schade eigentlich, dass das Ensemble Avantgarde seine Programme nicht wie das Gewandhausorchester immer zweimal spielt.

musica nova

Cristóbal Halffter – Musik und Gespräche
(Programm am Seitenende)

Ensemble Avantgarde
Steffen Schleiermacher, Leitung
Ausrine Stundyte, Gesang

5. März 2003, Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

Programm:

Cristóbal Halffter – Antiphonismoi (1967)
Cristóbal Halffter – Cancones de Al Andalus (1987/88)
Tant‘ amare
Tres morillas
Gar ke fareyo
Cristóbal Halffter – Ecos de un antiguo órgano (2001)

Pedro Halffter – Palintropos-Harmonie (2001)
José M. Sanchez-Verdu – giorno dopo giorno (1998/99)

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