Die Zeit steht still

Entrückende Saitenspiele mit dem Royal Consort

Man kann sich doch kaum einen schöneren Tagesausklang vorstellen, als im edlen Sommersaal des Bosehauses den zarten Klängen von vier alten Gamben zu lauschen und sich von herrlicher italienischer Renaissancemusik wenigstens für zwei Stunden entrücken zu lassen aus Alltagslärm und hektischer Geschäftigkeit .

Genau dafür kam das Royal Consort am Mittwochabend mit einem erlesenen Programm nach Leipzig. In diesem Ensemble haben sich vier exzellente und international bestens bekannte Gambisten zusammengefunden, um eine ganz außergewöhnliche, ungeheuer faszinierende musikalische Welt zu erschließen. Dabei zeigen sie in ihren vielseitigen Programmen den ganzen Reichtum der Viola da Gamba und machen auch nicht vor Undankbarem halt. Vielmehr wird einfach alles Klang unter ihren Bögen.

Wenn diese vier wunderbaren Musiker beispielsweise mit zwei Canzonen von Tarquinio Merula die „Saitenspiele“ eröffnen, wirkt alles so zeit- und schwerelos, so in sich ruhend, dass man wie gebannt dieser unspektakulären, dennoch ergreifenden Musik folgt. Das gemeinsame Atmen der Musiker überträgt sich auf den Zuhörer, der die rhythmischen Formen, die sich auf- und abbauenden harmonischen Spannungen und die melodischen Extravaganzen mit erfühlt und durchlebt.

Weiter geht es mit Stücken von Diego Ortiz, Gioseffo Guami und Giovanni Gabrieli, bevor in Marco Uccelinis „Sonata sopra la Bergamasca“ Mieneke van der Velden in der Manier einer Laute ihre Viola da Gamba bedient und Johannes Boers Ostinato ergänzt, auf welchem sich wiederum die beiden Diskantgamben von Kaori Uemura und Imke David virtuos dialogisierend bewegen, als wollte es nur immer so weitergehen.

Sehr tiefgehende und ernsthafte Musik erklingt danach mit der Sonata V in C von Giovanni Legrenzi, dessen Töne später auch den Schlusspunkt des Konzerts setzen. Gedankliche Tiefe, ein fast tragischer Gestus mit vielen Reibungen sowie rhythmische und harmonische Eigenwilligkeit lassen diese Musik sehr komplex und absolut erscheinen, ganz im Kontrast zu der folgenden ?Sonata 16? des Dario Castello, in der eine programmatisch-expressive, äußerst effektvolle musikalische Sprache zu Tage tritt.

Was auch immer die vier Künstler an diesem Abend anfassen, welcher Gestus auch immer gefragt ist, sie musizieren mit technischer Souveränität, mit feinem Gespür für Stilistik und Bewegung der Musik, und sie bringen einen Klangsinn ein, der fast unnachahmlich erscheint. Die fantastischen Instrumente aus dem 17. und 18. Jahrhundert mögen daran einen nicht unbedeutenden Anteil haben. Schon allein der Anblick solcher Juwelen ist eine wahre Freude, unter den Händen solch großartiger Musiker entsteht daraus fast (akustische) Glückseligkeit.

Und dann ist es wohl die Ausgewogenheit, die natürliche Harmonie, das Leise und Zarte an dieser Musik, welches den Hörer vollends gefangen nimmt und ihn wünschen lässt, es möge gar nicht mehr aufhören. Für solch stille Begegnungen ist der Sommersaal im Bosehaus ein geradezu idealer Ort, zusätzlich geadelt durch die hervorragende, vom Bacharchiv zusammengestellte Konzertreihe!

Der zweite Konzertteil rundet die musikalische Reise durch das Italien der Renaissance ab, etwa mit den sich immer weiter fortschraubenden „extravaganten Konsonanzen“ aus der Feder von Giovanni Maria Travaci oder der zarten Melancholie der „Passagi sopra Ancor que col partire“ von Riccardo Rognoni. Schließlich gelangen wir alle wieder bei den Canzonen Merulas an und die Künstler verabschieden sich mit einer weiteren Legrenzi-Sonate, die ahnungsvoll und spannungsgeladen in die Passionszeit entlässt.

„Saitenspiele“

The Royal ConsortViola da Gamba:
Mieneke van der Velden
Johannes Boer
Kaori Uemura
Imke David
La Gamba d’oro

Mittwoch, 12. März 2003, Historischer Sommersaal im Bacharchiv


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