Wiener Privatschule

Hausmusik bei Schönbergs: Kammermusikbearbeitungen sinfonischer Werke von Schönberg, Webern und Mahler

Für wahre Kunst braucht es manchmal Oasen fernab der Eitelkeit des laufenden Kulturbetriebs. Etwa einen privaten Club, in dem die Kunst ohne das übliche Drumherum gleichsam pur genossen werden kann. Der Erste Weltkrieg war gerade zu Ende, als Arnold Schönberg mit Gleichgesinnten einen „Verein für musikalische Privataufführungen“ gründete. Hier sollten ausgesuchte Werke immer gleich mehrere Male erklingen, damit man sich intensiver mit ihnen befassen konnte; allerdings höchstens in Kammerbesetzung, denn über ein eigenes Sinfonieorchester verfügte der Verein freilich nicht.

Zum Programm gehörten vorrangig Werke zeitgenössischer Komponisten, die man für aufführenswert hielt, sowie Werke der letzten Jahrzehnte, sofern deren Komponist Rang und Namen hatte. Natürlich nutzten Schönberg und Kollegen dieses Forum auch für die Aufführung eigener Werke. Und tatsächlich muss es sich wohl um fast ideale Aufführungsbedingungen gehandelt haben. Die neue Tonsprache, die hier erklang, war schließlich in der realen Welt kaum mehrheitsfähig. Betrachtet man etwa die Fünf Orchesterstücke mit ihrer freien, atonalen Melodik, so wird das deutlich. Mehr noch bei Anton Weberns Konzert, das zwölftönig komponiert ist.

Es ist schon ein kleiner Glücksfall, ein Programm, wie es auch in diesem erlesenen Verein hätte erklingen können, einmal in einem Konzert zu hören. Zudem, wenn den Musikern des GewandhausOktetts die Spielfreude in jedem Moment anzusehen ist. Und sie ist auch zu hören: Die beiden Werke von Schönberg und Webern scheinen bis ins Letzte durchgeformt, sowohl verstanden als auch gefühlt. Die verschiedenen Atmosphären der Fünf Orchesterstücke von Schönberg werden mehr als plastisch dargestellt, sowohl das reiche Stimmengewirr im ersten Stück, als auch die verschiedenen ruhigeren Schattierungen der anderen vier Stücke. Eine über alle Maßen überreizte Romantik wird hier hinter den freischwebenden Melodien in einer geheimen Harmonik spürbar, einer Harmonik, die keinen Regeln mehr gehorcht, aber dennoch formal gezügelt ist.

Das Geheimnis der Tonsprache Weberns geht noch tiefer. Die einzelnen motivischen Ereignisse sind wie atomisiert und werden doch von einer unsichtbaren, allumfassenden Ordnung zusammengehalten. Das GewandhausOktett zeigt hier den wohl höchstmöglichen Organisationsgrad des Ensemblespiels: Jedes noch so kleine Element fügt sich ganz natürlich in das musikalische Ganze ein, als wäre dies ein Kinderspiel. Auch dem Dirigenten Henrik Schaefer gebührt hierfür Respekt. Es ist interessant zu sehen, dass Zwölfton-Musik nicht nur eine abstrakte Kunstform ist, sondern auch Musik, die sich verstehen und nachfühlen lässt. Eine Ahnung davon gibt einem dieses Konzert.

Der größte Programmpunkt ist die 4. Sinfonie von Mahler in einer Fassung für Kammerensemble von Erwin Stein. In dieser Fassung erklang sie 1920 in dem besagten Verein, und man fragt sich, ob das Interesse hierbei vielleicht eher ein musiktheoretisches gewesen sein mag. Denn so hat man Mahler noch nicht gehört: Stellenweise klingt es wie ein Mozartsches Divertimento, dann wie ein schlecht erzählter musikalischer Witz. Aber man hört deutlich, wie diese Musik gemacht ist, als habe man eine Art Ursatz vor sich liegen. Als dann im vierten Satz der Sopranpart mit „Wir genießen die himmlischen Freuden“ einsetzt, bricht förmlich eine andere Welt über die Privatveranstaltung herein. Eine zarte Sopranistin mit Abendkleid singt voller Inbrunst. Wunderschön ist das und in gewisser Weise wieder ganz von dieser Welt.

Hausmusik bei Arnold Schönberg

Mojca Erdmann, Sopran
GewandhausOktett
Henrik Schaefer, Dirigent

Arnold Schönberg
Fünf Orchesterstücke op. 16
(Fassung für Kammerensemble von Felix Greissle und Henrik Schaefer)

Anton Webern
Konzert für neun Instrumente op. 24

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 4 G-Dur
(Fassung für Kammerensemble von Erwin Stein)

Sonntag, 30. März 2003, Mendelssohn-Saal des Gewandhauses

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