„Zur absonderlichen Erquickung des Gehörs componirt“

Die Salzburger Meister des Barock Bell´Arte sind mit Musik von Biber und Muffat im Bosehaus

In unserer aufgeklärten, rational durchtechnisierten Welt von heute gibt es sie kaum noch, die Mysterien, die geheimnisvollen Dinge, welche man weder erklären noch begründen kann. Und doch gehört auch das Undefinierbare, nicht in Formeln zu Pressende, Transzendente, der kühlen Analytik Unzugängliche, zu unserem Leben. „Die Geheimnisse der Lebenspfade darf und kann man nicht offenbaren“ sagt Goethe. Aber man kann sie mittels der Kunst vielleicht zum Sprechen bringen und dem Herzen erfahrbar machen.

Nichts anderes dachte sich wohl auch Heinrich Ignaz Franz Biber, als er seine Mysteriensonaten komponierte – bezeichnenderweise nicht als liturgisches Werk für den gottesdienstlichen Gebrauch, sondern einerseits als virtuose, allerlei neuartige und höchst expressive Effekte ausprobierende Violinmusik, andererseits als beschaulich-meditative Kammermusik, deren Erscheinungsbild jedoch hauptsächlich durch profane Tanzsätze charakterisiert ist. Wenngleich an einigen Stellen ein gewisser Pathos nicht fehlt, so begeistert Biber in diesem Zyklus vor allem durch den unaufdringlich-kunstvollen Umgang mit der Violine und die zahlreichen klanglichen Effekte, die er aus ihr herauszaubert. Ein wichtiges Gestaltungsmittel, dessen er sich dabei bedient, ist die Technik der scordatura. Durch das Umstimmen der Geige in untypische Intervalle entstehen ganz ungewöhnliche Zusammenklänge und Klangfarben, die beispielsweise in der „Himmelfahrts-Sonata“ XII den Eindruck von Fanfaren und Trompeten erwecken.

All die inhaltliche und gestalterische Vielschichtigkeit dieser Musik erscheint bei Annegret Siedel und ihren Begleitern Margit Schultheiß und Arno Jochem in sehr guten Händen. Vielleicht könnte das eine oder andere sicherer und mancher langer Ton mit glatterem Bogen daherkommen. Doch wie die Künstlerin Farben nachspürt, die Musik atmend durchlebt und keinen Ton, keine Phrase dem Zufall überlässt, lädt den Zuhörer ein, den musikalisch dargestellten Sonnenaufgang oder den gewaltig brausenden Wind nur als Ausgangspunkt für eigene Bilder und Assoziationen zu nehmen und so die Ausdrucksmöglichkeiten der Musik durch das eigene Erleben aufzunehmen und zu erweitern.

Neben der Skordatur-bedingten Gelegenheit, sehr verschiedene alte Geigen an diesem Abend hören und in ihren Eigenarten entdecken zu können, zahlt sich der wechselnde Einsatz der Orgel bzw. der Barockharfe im Continuo vielfach aus. Vor allem letztere bewirkt ein sehr intimes Klangbild, das gemeinsam mit den Tönen der Gambe ein zartes Gewebe unter und um die Violine bildet und in den Tanzsätzen eine stille Fröhlichkeit entfacht.

Die abschließend gespielte Sonata in D von Georg Muffat ist nach den eher programmatisch orientierten „Mysterien-Sonaten“ eine barocke Kostbarkeit aus dem Bereich absoluter Musik, jedoch in Harmonik und Gefühlswelt nicht weniger kühn und expressiv als Bibers Kompositionen. Dass diese wunderschöne und leider viel zu unbekannte Sonate Annegret Siedel und Bell’Arte sehr am Herzen liegt, hätte man dem Ensemble auch ohne vorherige Erwähnung abgenommen, denn eine makellose, tief ansprechende und phantastisch ausmusizierte Interpretation erzählt von langer, gründlicher Auseinandersetzung mit dem Stück und einer starken Verinnerlichung.

Im Inneren bewegt und erhoben von herrlicher Musik, die „nur zur absonderlichen Erquickung des Gehörs componirt worden“ ist, begibt sich der Hörer schweren Herzens in unsere laute und geheimnislose Welt zurück.

Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704):
Sonaten XI bis XV aus den „15 Sonaten über die Mysterien des Rosenkranzes“
für Violine und Basso continuo (Dritter Teil: „Der Glorreiche Rosenkranz“)

Georg Muffat (1653-1704):
Sonata in D für Violine und Basso continuo

Bell’Arte Salzburg

Annegret Siedel, Barockvioline
Arno Jochem, Viola da Gamba
Margit Schultheiß, Orgel und Barockharfe

Mittwoch, 23. April 2004, Historischer Sommersaal im Bosehaus

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