Kino für Fortgeschrittene: Der Titanic-Filmabend (Friederike Haupt)

Titanic-Filmabend, 29.04.2003 Moritzbastei Fantastitanisch
Besuch aus dem Land der begrenzten UnmöglichkeitenAnmerkung: Am Ende dieses Textes findet sich eine Kurzbewertung des Abends (für alle, die es eilig haben).

Mit Lieblingsfilmen ist das so eine Sache. Manche Zeitgenossen haben gar keine („Och weißte… ich les lieber`n gutes Buch!“), andere versuchen ihr Umfeld geschmäcklerisch zu missionieren („Diesen Film musst du gesehen haben: Ein Meilenstein, ein Meisterwerk, da brauchste mir gar nicht mit was anderem zu kommen!“) und wieder andere Filmbegeisterte rezitieren zu jeder Gelegenheit Schlüsselszenen ihres Favoriten („Und dann, peng, als der eine zu dem anderen -du weißt schon wer- geht…“).
Was kann man nun erwarten, wenn eine Delegation des Satire-Zentralorgans Titanic mit ihren Lieblingsfilmen im Gepäck anreist und diese auch noch kommentiert vorführen will?

Nun, die drei Herren – Chefredakteur Martin Sonneborn, Redakteur und „Jungrentner“ Benjamin Schiffner und Burg-Schauspieler Georg Behrend – machen aus ihren Absichten keinen Hehl: Sämtliche mitgebrachten Filmchen sind Titanic-Produktionen, und die Hauptrollen (man ahnt es schon) wurden ausnahmslos mit den heute anwesenden Repräsentanten des selbsternannten „Faktenmagazins“ besetzt. Selten, dass man Drehbuchautoren, Schauspieler und Regisseure von über zehn Filmen auf drei Stühlen versammeln kann; wenig verwundernd daher auch die Begrüßung des Publikums durch Sonneborn: „Schön, dass Sie da sind. Noch schöner, dass wir da sind.“

Ein wenig befremdend mag es auf manche wirken, dass die Titanicer auch Filmemacher sind, kennt man doch hauptsächlich das Magazin und eventuell noch den entsprechenden Internet-Auftritt www.titanic-magazin.de. Doch die größtenteils Mitte der 1990er Jahre entstandenen Kurzfilme fristeten bisher keineswegs ihr Dasein in irgendwelchen dunklen Archiven: In der NDR-Sendung extra 3 wurden sie ausgestrahlt, und auch ein in Cannes mit dem silbernen Löwen ausgezeichneter Kinospot gegen Neonazis findet sich im heutigen Programm.

Zwei satirische Konzepte sind es, die an diesem Abend in perfektionierter Form gezeigt werden: Erstens der „Vor-Ort-Bericht“, gegen den Raab in Gefahr oder elton.tv harmlose Spaziergänge sind, und zweitens der „Hintergrund-Report“, in dem schonungslos aufgedeckt und entlarvt wird.

Vor Ort, das heißt die drei wackeren Humoristen touren durch die Lande (zumeist durch ostdeutsche, denn „die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag“) und führen in Interviews und Aktionen auf einzigartige Weise die kleinbürgerliche Welt vor: So wird beispielsweise ein Schreibtisch auf einen Kleintransporter gestellt, mit orangefarbener Folie umwickelt und als Castortransport deklariert. Bei der Fahrt durch Brandenburg gewähren arglose Beamte dem Gefährt Polizeischutz, rotgesichtige Bürgermeister laden zum Schnapsumtrunk im Vorgarten ein und Anwohner betonen die gute Sicherheit der heutigen Atommüllentsorgung. Bei anderen Einsätzen lässt sich ein FDP-Politiker grinsend vor antisemitischen Plakaten ablichten, norddeutsche Apotheker werden zum richtigen Umgang mit Joint und Wasserpfeife unterrichtet und Schweriner Beamte müssen sich auf die neuen Rechtschreibregeln prüfen lassen (Sonneborn im Film: „Trenne stets c-h, denn dafür ist es da!“ und: „Das Semikolon ist der Strichpunkt unter den Satzzeichen!“). Die ahnungslosen Mecklenburger schreiben eifrig mit.

Auch die „Reportagen“ sind wunderbar subversiv und werden dementsprechend von den Zuschauern mit Johlen, Gelächter und anhaltendem Applaus quittiert: Ob „Nepper, Schlepper, Weihnachtsmänner“ oder „Save the deutschen Tannenbaum“ – immer sind die circa fünf Minuten dauernden Filme von einer ausgesuchten Bosheit und einem selten gewordenen abgründigen Witz (nach dem Motto: „Erlaubt ist, was gefällt.“). Der WSV wird zu den neuen Chaos-Tagen erklärt, ein Musical-Casting für „Mutter Theresa hilft“ gerät zur Gutmenschen-Parodie, und Sonneborn, Schiffner und Behrend als ostdeutsche Botschafter, die mit gehäkelten Deckchen bayerischen Bürgermeistern ihre Aufwartung machen („Stoiber hat doch gesagt, der Osten sollte dankbarer sein!“) dürften mit das Lustigste sein, was auf hiesigen Leinwänden zu sehen ist.

Eine Mischung aus den unmöglichsten O-Tönen, den skurrilsten Bildern und den bissigsten Witzen, in knapp 2,5 Stunden vorgetragen mit einer ordentliche Portion Selbstironie und Spontanität (anfängliche Probleme mit Licht und Mikrofonen werden zum Anlass für spöttische Bemerkungen über den verwirrt herumeilenden Techniker genutzt).

Bevor diese Titanic sinkt, muss jedenfalls noch viel passieren.
Hier noch eine Kurzbewertung für eilige Leser:Action: 5 von 10 Punkten – abgehetzter Techniker und eine synchronisierte Filmschießerei, aber gemütlich dasitzende Titanic-HerrenSpannung: 6 von 10 Punkten – teilweise Tatort-Qualität bei Rechtschreibkontrolle und Castortransport, aber Ablenkung durch LachenErotik: 0 von 10 Punkten – aber das konnte wohl auch nicht erwartet werdenAnspruch: 9 von 10 Punkten – wie laut Schiffner der MDR die Ablehnung des Titanic-Filmmaterials begründete: „Zu anspruchsvoll für’s deutsche Fernsehen.“Gefühl: 5 von 10 Punkten – Auslotung der Grenzen des guten Geschmacks, aber keine Beachtung ebendieserSpaß: 11 von 10 Punkten – Skala gesprengt! (Friederike Haupt)

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