Michael Schneider „Der Traum der Vernunft”, Lesung und Zauberei (Grit Kalies)

29. April 2003, Deutsches Literaturinstitut
Michael Schneider ?Der Traum der Vernunft?, Lesung und Zauberei


Nichts gegen Zauberei

Nach der Lesung ergab sich bei Bier und Milch folgendes Gespräch: Warum muß Politisches immer mit Substanzverlust einhergehen? ?Muß nicht, denk an Stefan Zweigs ?Joseph Fouché?. Die Lebensgeschichte eines politischen Menschen und gute Literatur. ?Naja, ist ja auch Stefan Zweig. ?Das ist kein Grund. Was nehmen wir? ?Ich ein großes Bier, bitte. ?Ein kleines bitte. ?Mir bitte heiße Milch. ?Mit Honig? ?Nein, danke. ?War doch ganz witzig, die Sache mit dem brennenden Buch und den durchgeschnittenen Gurken. Also, Gurken zu guillotinieren und in anständige und diebische zu unterteilen und dann auch noch schmutzige oder saubere Steuerzahlerhände zu meinen. ?Hmm. Ein bißchen Show, ein bißchen Kabarett, bißchen Agitation, Witz, Satire. Gut, wenn das reicht. Aber daß irgendwas an dem Roman brennt, kann mir keiner erzählen. Man kann sich nur an Ideen verbrennen, wenn sie unter den Nägeln brennen. ?Das war jetzt nicht so schön gesagt: zweimal brennen in einem Satz. ?Egal, ich hab jedenfalls den Eindruck, das heute war kalt servierter Kakao, der im Mund wieder aufgewärmt wurde. ?Ich hätte doch Honig nehmen sollen. ?Schmeckt nicht, die Milch? ?Geht so. Das Bier? ?Meins ist okay. ?Meins schmeckt ganz gut. ?Auf der anderen Seite, stimmt schon. Was er vorgelesen hat, wirkte manchmal steif wie ein Dozent, dann wieder langatmig oder gefühlsduselig. ?Immerhin habe ich einiges gehört, was anregend ist, und meine Geschichtskenntnis aufgefrischt. Weitgehend bekannte Gedanken, aber besser, sie wieder zu hören als nie. Französische Revolution. Rousseau. Und den Diskurs über die Ungleichheit fand ich interessant, zum Beispiel das umgekehrt proportionale Verhältnis von Freiheit und Gleichheit. ?Ich hab mal über Rousseau was in der Art gelesen: Stil ermüdet durch Rhetorik und Feierlichkeit, keinerlei wahrhaftige Empfindung oder Unmittelbarkeit des Ausdrucks. ?Das ist der andere Rousseau, stimmts? Nicht Jean Jacques, das kannst du mir nicht erzählen. ?Überführt. Ich wurde vorhin das fade Gefühl nicht los, daß Schneiders Sprache nicht lebt, zumindest nicht in den gelesenen Passagen. Umständlich, unecht, wie: das hier ist ein politisches Buch, es geht nicht um Sprache. Wie hieß das Buch noch? ?Der Traum der Vernunft. Zusatz: Roman eines deutschen Jakobiners. ?Das ist vernünftig. Traum der Vernunft gibt es schon als Theaterstück. Von einem spanischen Autor, glaub ich. ?Und die Tagespolitik bei den Zaubereien fand ich aufgesetzt. Theatralisch. ?Ich weiß nicht, mir schien das schlüssig und der Typ in sich konsistent. Er sagt Wahrheiten, macht politische Vorschläge, Konkret-Autor. Außerdem find ichs gut, mal was mit politischem Anspruch zu hören. Ist doch zu loben. Nicht diese ewige Ich-Bezogenheit, dieses Selbstheitsdruck-Gefasele, was so Raum greift. ?Klar, die Ideen kann ich unterschreiben, richtig und wichtig. Und sympathisch. Aber gleichzeitig schien mir alles so weichgespült, nicht wirklich. Wie zurückgebliebener 68er-Matsch. Das kann man ja als Ossi direkt aushebeln. ?Endlich ein natürlicher Ton. ?Tränensäcke sind in Wahrheit Fettsäcke, wußtet ihr das? Kann man absaugen lassen. ?Nicht wieder Witze. ?Und was kommt dabei heraus, wenn ein 68er mit einer 68erin bumst? Na? ?Eine Kapitalverbindung. Das ist kein Witz: später August. ?Für mich wars feuerlose Agitation. Die Revolution ist neu? Nein, mit Perwoll gespült. Taschentricks. ?Das ist jetzt zu viel. Nichts gegen die Zauberei. Die ist doch eher zauberhaft. Der magische Würfel. Das Schwarz-Weiß-polarisierte Tuch. Zehn andere solcher Tricks, und man hätte ihm die Hände geküßt. Wirkt doch auflockernd. ?Hat der Roman nötig. Und zu der Hauptfrage, wieso der Eulogius Schneider zu einem Serienmörder geworden ist, das kam nicht raus bei der Lesung. Jede Dialektik von charakterlicher und revolutionärer Entwicklung entzieht sich mir. Nein, für gute Literatur reicht das nicht. ?Du kennst den Gesamttext nicht. ?Will ich auch nicht. Du? ?Können wir uns darauf einigen, daß bei der Lesung die Magie der Worte fehlte? ?Jedenfalls war sie offenbar am stärksten, wenn er seine Zauberkunststücke machte, da sprach er von wirklichen Zusammenhängen der Weltpolitik. ?Also mir ist es egal, ich war eh nur halb da. ?Wieso das? ?Ich hab genau über der Kante gesessen. ?Was für eine Kante? ?Na, da ist so eine Kante im Raum. Die trennt, wenn man so will, den Lesungssaal vom Flur. Und ich saß direkt darüber. ?Und? ?Ich war nur halb da, hab ich schon gesagt. ?So ein Unsinn. ?Kein Unsinn. ?Wollt ihr euch jetzt über eine Kante streiten? ?Ein Raumteiler, wenn du so willst. ?Ich nehm noch ein Bier. ?Ich das gleiche. ?Heiße Milch bitte. ?Mit Honig? ?Nein, danke. ?Jetzt ein Witz. Nein zwei. Die stammen aus Osteuropa, jiddisch, die gibt’s doch jetzt fast nicht mehr, wie ausgestorben. Einen kurzen, der Spaß macht, und einen sehr intelligenten. Also: Ein jungverheirateter Mann fragt den Rabbi: Rabbe, wie kann man verhindern, daß die Frau schwanger wird? Rabbe sagt, wörtliche Rede: ein Glas Wasser trinken. Der junge Mann überlegt: vorher oder nachher? Der Rabbe antwortet: Anstatt. ?Ist cool, find ich witzig, hab ich aber vorher gewußt. ?Klar. Jetzt kommt der intelligente: Zwei Männer kommen des frühen Morgens die Straße lang, da liegt ein Riesenbaumstamm im Weg. Sagt Moischele zu Slomo: Weißt du, Slomo, wir frühstücke?

(Grit Kalies)

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