Die III. TangoTageLeipzig raubten Schlaf und Arbeitszeit (Ian Sober)

Die III. TangoTageLeipzig fanden vom 29.05-01.06.03 in der Plagwitzer Tangofabrik statt.


Viertägige Tangomanie kostete Schlaf und Arbeitszeit

Der Tango ist eine Daseinsform – das Zitat von Horacio Ferrer, Hausdichter Astor Piazzollas, steht als Motto vor dem Internetauftritt von L-Tango. Der Verein organisierte nun schon zum dritten Mal mit großem Engagement die Leipziger Tangotage für die hiesige gut hundertköpfige Tangoszene sowie die aus der näheren und ferneren Umgebung Angereisten im schäbig-schönen Ambiente der Plagwitzer Tangofabrik. Dort findet man – ganz im Sinne des erwähnten Zitats – auf einer Tafel den Ausgangspunkt der Descarteschen Philosophie in abgewandelter Form wieder:

Tango Ergo Sum

Man möge dem Autor dieser Zeilen verzeihen, wenn er vorerst ein paar Worte über diese sonst vielleicht nur dem Aficionado verständliche Manie verliert.

Es geht hier beileibe nicht um das, was man vom Standardtanz her als Tango kennt. Der ursprüngliche, argentinischen Tango ist vor der Jahrhundertwende in der zwielichtigen Peripherie von Buenos Aires entstanden und wenige Jahrzehnte später nach Europa geschwappt, geriet danach fast völlig in Vergessenheit, um dann in den 1990ern seinen unaufhaltsamen Siegeszug in der westlichen Welt anzutreten. Kaum jemand mit nur einem verschütteten Funken Leidenschaft für Bewegung und Musik wird sich der Faszination entziehen können, die von dem wohl technisch perfektioniertesten aller Tänze ausgeht. Sein wesentliches Charakteristikum ist das Fehlen festgelegter Schritte. Was sich zwischen den Tanzenden im Paar abspielt, ist im besten Falle frei improvisiert. Den Tanz als Tango erkennbar macht letztlich nur der Modus der Bewegung: Zum einen die elegante, gleitende Art des Gehens, zum anderen die sogenannte Dissoziation von Oberkörper und Beinen, durch die über weite Strecken die typische enge Umarmung im Paar erhalten bleibt, während die Beine in den Tanzkreis des Partners eindringen.

Eine wachsende Zahl tangobegeisterter Europäer hat das Phänomen der in Europa unterrichtenden Argentinier hervorgebracht. Zu den diesjährigen Tangotagen war das junge Paar Damian Esell und Nancy Louzan eingeladen, die hier an vier Tagen Workshops veranstalteten. Sie gelten als Vertreter eines modernen Tango de Salon, und auch ihr Unterricht zeigt die Tendenz, den Tango von seinen grundlegenden Bewegungsstrukturen her zu verstehen, ohne auf traditionellen Figuren und überlieferten Schrittkombinationen zu beharren. Ihre unkomplizierte Art des Umgangs weckt sofort Sympathie. Wer sie tanzen sieht – und dazu war am Donnerstag und Samstag bei nächtlichen Shows Gelegenheit – bewundert die Mühelosigkeit ihrer Technik und ihre verspielte Leichtigkeit (mit der sie auch ganz nebenbei gezeigt haben, daß Tango weder mit affektierter Erotik noch dem Ausleben von Machismo zu tun hat).

Das diesjährige Programm war vielfältig: Eröffnung war am Himmelfahrts-Donnerstag mit einem (einstündig verpäteten) Vortrag von Hugo Bascope, der verstreute Erinnerungen und seine Sicht des Tango in Abschnitte teilte, denen typische Figurelemente als Metaphern vorangestellt waren. Zwischendurch ließ er auf dem Akkordeon bekannte Tangos anklingen. Im Anschluß gab es ein Konzert mit der nicht immer ganz treffsicheren, aber sehr ausdrucksstarken Sängerin Marina Cedro und ihrem vorzüglichen Begleiter auf der Gitarre Ricardo Urrutia, die bekannte Tangos sowie einige selbstverfaßte (wohl eher durch den Klang des Spanischen interessante) zu Gitarrenbegleitung gesprochene Texte vortrugen. Die anschließende Milonga (Tanzabend) wurde durch die erste Show mit Damian und Nancy gekrönt.

Der Freitag war (mittlerweise traditionell) den lokalen Vertretern der Kunst vorbehalten: Livemusik mit dem Leipziger Quinteto Tango Nuevo sowie eine Show der letztes Jahr gegründeten Compania Tango Morfosis, die aus Ruben Covacevich und Sophia Schetelich (beide unterrichten unabhängig voneinander in Leipzig) sowie Hector Corona und Silvina Machado (die ebenfalls hier unterrichten) und dem Duo Musa Mistonga (Marcela Pedretti Klavier, Fernando Rezk Bandoneon) besteht. (Rezensent war leider nicht anwesend und muß den zweifellos spektakulären Abend daher unkommentiert lassen.) Der große Tangoball am Samstag schließlich hatte die unbeschreiblich energiegeladene Musik des Orquesta tipica Silencio (mit „special guest“ Alfredo Marcucci) zu bieten, die im Di-Sarli-Stil der 40er Jahre den betont rhythmischen Tango der orthodoxen Milongueros schlechthin verkörpern. Übrigens gab es auch eine „Underground“-Alternativeranstaltung, bei der man sich vom Gedränge auf der Tanzfläche erholen konnte: Vielleicht fünf Paare tanzten zu ganz untypischer Musik – Tango läßt sich auf alles tanzen – im kühlen Keller der Fabrik, der mit künstlichen Sonnenblumen liebevoll dekoriert worden war. Und wer auch am Sonntag nicht genug hatte, konnte beim Tangobrunch die alte Fabrikhalle einmal ganz ungewohnt bei Tageslicht erleben. Ein großes Kompliment an die Organisatoren, die kleinen Patzern (bei den Ansagen…) zum Trotz ein spannendes Programm auf die Beine gestellt haben. Bis die Tage!

(Ian Sober)

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