Paul Poets Dokumentarfilm „Ausländer raus! – Schlingensiefs Container” (Roland Leithäuser)

Geladen und entsichert: Das Medienprojekt „ENTSICHERUNG“ der Schaubühne Lindenfels mit zeigt Paul Poets Dokumentarfilm „Ausländer raus! – Schlingensiefs Container“
Schaubühne Lindenfels, Freitag, 13.6.2003
Bitte liebt Schlingensief!

Ausländer raus! -Schlingensiefs Container
Österreich 2001 von Paul Poet, 90 min.
Darsteller:Luc Bondy, Daniel Cohn-Bendit, Einstürzende Neubauten, Gregor Gysi u.a.

Der Dokumentarfilm als Werkschau eines Künstlers ist ein heikles Unterfangen. Häufig enden solche Unternehmungen in einem medialen Jahrmarkt der Eitelkeiten, bei dem der Künstler und sein Umfeld hautnah ihren idiosynkratischen Umgang mit künstlerischer Arbeit und deren öffentlicher Wahrnehmung pflegen. Gewiß, Christoph Schlingensief ist ein eitler Mensch, jedoch einer, der den öffentlichen Effekt, den er mit seinen Auftritten erzielt, für sein Gesamtwerk provokanter Kunst wirkungsvoll zu instrumentalisieren weiß.

Es ist vielleicht nur ein Zufall, daß zum dritten Jahrestag von Schlingensiefs Containeraktion auf dem Opernplatz von Wien die Schaubühne Paul Poets Dokumentation dieser sieben Tage im Juni 2000 zeigt. Kontextualisierung erfährt der Film über Schlingensiefs Abwandlung der BigBrother-Eventkultur durch das theatralische Projekt „Entsicherung“, mit dem die Schaubühne in Kooperation mit Künstlern, in Performances und Filmen nach eigenem Bekunden eine „Einmischung in den öffentlichen Raum“ wagt. Und während der Film läuft, sitzen auf der 50. Biennale in Venedig die sieben buchstäblichen „Säulenheiligen“ des neuesten Schlingensiefschen Werkes, der aus Arbeitslosen, Atheisten, Gescheiterten bestehenden „Church of Fear“ auf ihren Pfählen und harren der Kulturjournalisten, die da kommen.

Zurück zum Film und seinem Sujet. Der internationalen Protestwelle folgend, welche die Bildung der österreichischen Bundesregierung unter Einbindung der rechts gerichteten FPÖ auslöste, errichtete der Berufsprovokateur Schlingensief ab dem 11. Juni 2000 auf dem Wiener Opernplatz einen Container, der in der Folge, mit „Ausländer Raus“-Plakaten und FPÖ-Transparenten versehen, ein gutes Dutzend Asylbewerber beherbergte, von denen nach dem Prinzip der BigBrother-Shows allabendlich zwei per Internet und Telefon abgewählt und somit abgeschoben werden sollten.

Das unmittelbare Echo auf Schlingensiefs Aktion hielt sich in Grenzen, der zuständige ÖVP-Bezirksvorsteher genehmigte das Projekt im Rahmen der Wiener Festwochen (Leitung: Luc Bondy) anstandslos. Dann aber geschah etwas Unvorhergesehenes: unter den Augen der internationalen Presse und den teils staunenden, teils empörten Passanten und Zuschauern transzendierte das eigentliche Projekt seine Wirkung zu einer Art Demonstration der Aktionskunst als Mittel der politischen Debatte. Paul Poets Film zeichnet diese Entwicklung in seinem 90minütigen Film anhand von Originalfilmsequenzen, Interviews und Fernsehbeiträgen des ORF lebendig nach. Alles beginnt mit einer Pressekonferenz Bondys und Schlingensiefs, in deren Verlauf das Containerkunstwerk und seine intendierte Wirkung umrissen werden. Zwei der Mitinitiatoren von „Bitte liebt Österreich“, die Kulturphilosophen Burghard Schmidt und Peter Sloterdijk, wollen in weiteren Interviews das Wiener Medienprojekt als Ausdruck eines kämpferischen Demokratiebegriffs verstanden wissen und ergehen sich in umständlichen, medienphilosophischen Terminologien.

Poets Film hält sich aber mit solchen Überlegungen nicht übermäßig lange auf. Fortan werden die sieben Tage von Wien filmisch dokumentiert, jeder Tag in einen theatralischen Akt unterteilt. So wird der Zuschauer schnell der Eigendynamik gewahr, die der deutsche Beitrag zu den Wiener Festwochen zweifelsohne leistete. Schon an Tag Zwei steht eine deutlich angewachsene Zuschauermenge vor dem Container und führt erregte Diskussionen, die Poet kommentarlos mit der Kamera einfängt. Die Menschenmenge wächst von Tag zu Tag an, es kommt zu vereinzelten Übergriffen, so einem Buttersäure-Angriff auf den Container und schließlich der Erstürmung des provisorischen Gebäudes durch linke Aktivisten. Christoph Schlingensief ist dabei allgegenwärtig: er redet mit den Menschen, provoziert durch seine vom Dach des Containers verkündeten Parolen und entgeht dabei wiederholt nur knapp tätlichen Angriffen durch aufgebrachte Österreicher, die sich von einem dahergelaufenen „Piefke“ nicht erklären lassen wollen, wie Demokratie abläuft.

Dem distanzierten Blick entgeht dabei nichts, auch die mitunter grotesken Selbstdarstellungen Schlingensiefs, die offenkundig nicht zwingend mit dem Erfolg des Projektes harmonieren. Daß es schließlich trotzdem zu einem Erfolg wurde, konstatieren im Verlauf des Films nicht nur des Meisters Assistentin, seine Projektleiterin und die diversen Gäste im Container (Gregor Gysi, Daniel Cohn-Bendit, Einstürzende Neubauten), auch die Kulturbeigeordneten von ÖVP und FPÖ müssen zumindest eingestehen, daß Schlingensiefs Werk insofern polarisiert, als es Zuschauer ? Befürworter und Gegner – zur mehrheitlich friedvollen, engagierten Diskussion ermuntert.

Die medienkritische Dimension des Projektes vergißt der Film dabei nicht, das Leben und der Abtransport der abgewählten Asylbewerber wird minutiös dokumentiert, die Limousine des Sponsors aus dem südlichen Deutschland wird in ihrer ganzen Opulenz in Szene gesetzt. Kurzweilig und dabei kontrovers sind diese anderthalb Stunden Film ausgestaltet, vor allem dann, wenn Poet mit wackliger Kamerafahrt die Szenen vor dem Container begleitet. Linke Gutmenschen, alte Wehrkriegsveteranen, Paare, Passanten und sogar eine Gruppe aus München angereister Burschenschaftler zeugen vom grotesken Spiel der Emotionen, hervorgerufen durch zwanzig Quadratmeter Wellblech und einige Transparente. Christoph Schlingensief schaut, proklamiert und grinst. Die Inszenierung ist gelungen. Die Vereinnahmung des Events durch Linke oder Rechte wurde abgewiesen, die Deutungshohheit gehört dem Regisseur und seinem Team, und er weist sie lachend von sich. Mit Österreich hat man sich inzwischen arrangiert, der ehemalige Meßdiener aus Oberhausen ist weitergezogen, seine öffentliche Kunst in neue Räume zu tragen.(Roland Leithäuser)

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