Ausstellung: Theatrium Mundi – Die Welt als Bühne. Haus der Kunst München (Steffen Lehmann)

Ausstellung: Theatrium Mundi ? Die Welt als Bühne
Haus der Kunst München
Bis 21. September
Katalog 32 Euro.

Bild: Corrado Giaquinto (1703 – 1765)
„Carlo Broschi, alias Farinelli, 1753 / 1756“


Welch selige Zeiten

Es hätte ein so schöner Abend in der ehrwürdigen Arena zu Verona werden können. Silvio Berlusconi, Italiens Ministerpräsident und Gerhard Schröder wollten sich wieder vertragen. Ausgesucht hatten sie sich dafür eine Aufführung von Bizets ?Carmen?. Aber dann beschlich den ehemaligen Kreuzfahrt-Conférencier Berlusconi die Angst vor dem Unbill seiner eigenen Landsleute. Die Absage folgte. Allein, der Kanzler ließ sich den Spaß nicht verderben. Natürlich hätte das Treffen in der medialen Abgeschiedenheit des Bundeskanzleramtes oder des römischen Amtsitzes des Italieners passieren können. Aber für das Zusammenführen von Politik und öffentlicher Aufmerksamkeit ist kein Ort besser geeignet als die Oper. Wie heißt es so schön: Sehen und gesehen werden. Genau darum geht es.

Theatrum Mundi widmet sich den vielfältigen Verbindungen zwischen Kunst und öffentlichem Leben im Zeitalter des Barock und des Rokoko. Theater war eben nicht nur Oper, Sprechtheater und Ballett. Die eigentliche Bühne war vor allem die Politik. An der Spitze der absolutistische Herrscher, seine Untergebenen waren Komparsen und Souffleure, die Residenzen Bühne und Dekoration. Schon Emile Durkheim wusste um die religiöse Bedeutung von Festen und Feiern. ?[Das Fest] hat auf jeden Fall die Wirkung, die Individuen einander näher, Massen in Bewegung zu bringen und auf diese Weise eine Erregung zu entfachen, die mit dem religiösen Zustand verwandt ist. Der Mensch gerät außer sich und vergisst seine gewöhnlichen Beschäftigungen und Sorgen.? Und genau diese Aufgabe hatte auch die Oper. Mit Hilfe ausgeklügelter Bühnentechnik und Dekoration wurde dem Publikum eine idealisierte Welt vor Augen geführt.

Blickfang der opulenten Ausstellung ist das Bühnenbild des Theatrum Sacrum aus dem Kloster Neuzelle in der Lausitz. Erstmals seit über 120 Jahren dem Publikum zugänglich, versinnbildlicht es die enge Symbiose von Religion, Bühne, Kunst und Alltag im Zeitalter des Barock. Das Theatrum Sacrum zeigt die Karfreitagsgeschichte. Von der Kulisse haben sich fast dreihundert Teile erhalten. Wellen-, Donner,- Regen- und Windmaschinen zeigen, mit welchem Aufwand ?Spezialeffekte? während der Aufführungen betrieben wurden. Skizzen von Opern (z.B. ?Il pomo d’oro) zeigen, wie farbenprächtig und aufwändig das Publikum unterhalten wurde.

Der Erfolg einer Oper oder einer Theaterinszenierung war damals wie heute von seinen Protagonisten abhängig: den Sängern und Schauspielern. Heute wird allzu schnell der Begriff vom Star und seinen Steigerungsformen Superstar und darauf folgend der Megastar gesprochen. Das Publikum des Barock diente als Geburtshelfer dieses modernen Phänomens. In der Schau werden einige der bekanntesten Akteure dieser Zeit vorgestellt. Allen voran der Kastrat Carlo Broschi genannt Farinelli, der auf einem Bild von Corrado Giaquinto (aus dem Jahre 1753/54) in einer wahren Herrscherpose verewigt ist. Zu dieser Zeit sah sich Farinelli auf der Höhe seines Ruhmes. Als persönlicher Vertrauter des spanischen Königs, war es seine Aufgabe, mit seinem Gesang den Herrscher von seinen Depressionen zu erlösen. Ein findiger Geschäftsmann stellte 1734 in London gar eine Kollektion mit populären Liedern des damals 29-jährigen Sängers zusammen. Heute nennt sich das Merchandising.

Doch nicht nur den großen Akteuren dieser Zeit erweist die Ausstellung ihre Referenz. Es kommen auch die fahrenden Schauspieler zu ihrem Recht. Gerrit Berckheydes Bild ?Gaukler vor der Stadtmauer von Köln? (letztes Drittel des 17. Jahrhunderts) verdeutlicht die schwierige soziale Stellung des Schauspieler. An den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt, waren sie oft ohne jegliche Rechte. Diese Rechtlosigkeit verband sie mit den umjubelten Stars. Denn auch ihnen wurde bis in das 18. Jahrhundert nicht selten ein kirchliches Begräbnis verweigert.

Trotzdem stellt sich beim Betrachten all der schönen Exponate etwas Wehmut ein. Wehmut darüber, in welchen paradiesischen Zuständen Musiktheater damals gemacht werden konnte. Kein Wort von Opernfusionen, Opernstiftungen oder einer Opernschließung.

(Steffen Lehmann)

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