Buchempfehlung: Zygmunt Haupt, Ein Ring aus Papier. Erzählungen (Steffen Lehmann)

Zygmunt Haupt: Ein Ring aus Papier. Erzählungen. Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Esther Kinsky. Mit einem Essay von Andrzej Stasiuk. Suhrkamp Verlag,
Frankfurt/Main, 2003, 350 Seiten, geb., 24,90 Euro.


Eine glückliche Wiederentdeckung

Diese Rezension dürfte es eigentlich nicht geben. Zumindest dann nicht, wenn man Andrzej Stasiuks nachdrücklichem Essay folgt, der das Werk von Zygmunt Haupt für unbeschreibbar hält. Die Erzählungen von Haupt entziehen sich in der Tat einer eindeutigen Beschreibung. Sie beschreiben eine Welt und Dinge, die nicht mehr existieren. Hinter allen Erzählungen in ?Ring aus Papier? ist aber die große Demut Haupts zu erkennen. Haupt versteht es, zwei Dinge meisterhaft zu verbinden: den Schmerz des Betrachtens und die Kunst des Wortes. Sein Schreiben ist wie ein Kreisen um einen Fixpunkt.

Zygmunt Haupt hat ein sehr überschaubares Werk hinterlassen. Das ist vor allem seinem Exil in den Vereinigten Staaten geschuldet, das ihn in Europa fast völlig vergessen ließ. 1907 im östlichsten Zipfel der österreichisch-ungarischen Monarchie geboren, studierte Haupt in Lemberg Architektur und später in Paris Stadtplanung. Seine Eltern gehörten als Lehrer der kleinen galizischen Intelligenzia an. Den zweiten Weltkrieg erlebte er als Soldat in Ungarn und dann in der polnischen Exilarmee in Frankreich. Haupt sollte seine Heimat nie wieder sehen. Nach dem Krieg ging er in die USA, wo er ab 1961 beim Radiosender ?Voice of America? eine Anstellung fand. ?Ein Ring aus Papier? ist das einzige Werk, dessen Publikation der Autor zu seinen Lebzeiten erleben konnte. Erschienen ist es im polnischen Exilverlag ?Kultura? in Paris, der auch nach dem Tod von Haupt noch einen Band mit Texten aus dem Nachlass veröffentlichte. Abgesehen davon finden sich nur einige Reportagen und Feuilletonbeiträge. Nicht viel für jemanden ? möchte man meinen – dem auch das Etikett ?polnischer Proust? anhaftet.

Bei näherem Hinsehen wird die Leichtfertigkeit einer solchen Äußerung schnell sichtbar. Haupts Ich-Erzähler sind geprägt von einem „unruhigen Bewusstsein“, berichten mitunter von ihrem Leben, als wäre es nicht ihr eigenes, als würden sie sich selbst betrachten. Seine Texte sind von der Sehnsucht nach dem Land seiner Jugend, dem Verlust und dem Tod gekennzeichnet. Haupts unbeschwerte Kindheit endete abrupt mit dem Tod der Mutter im Jahre 1918. Die Erfahrung des Verlustes wird dann noch durch den Tod der geliebten Schwester Helena verstärkt. Fast schon beiläufig beschreibt Haupt diese Szenen. In der Erzählung ?0,005 Zyankali? brütet der Erzähler über einem Gedicht, als ein Schuss ertönt. Der Vater, in seiner Unnachgiebigkeit, hat den Hund der Kinder erschossen, der die Beete im Garten verwüstet hat.

Der ?Ring aus Papier? umkreist die Biografie Zygmunt Haupts mit all seinen Ingredienzien: unbeschwerte Kindheit, aufkeimende Sexualität (mit seiner Schwester Helena im Mittelpunkt, die im Buch Elektra heißt), seinem Studium (?Auf der Jagd mit Maupassant?), seine Militärzeit (?Landschaft mit Sonnenuntergang und Objekten aus Stahl?) und schließlich sein amerikanisches Exil (?Henry Bush und sein Flugzeug?). Aber längst nicht alle Texte lassen sich auf eine düstere Grundstimmung reduzieren. Dazwischen flackern auch Erinnerungen an einen opulenten Urlaub in den französischen Alpen während seines Armeedienstes auf. Der Exilant Zygmunt Haupt fand seine Heimat in der Sprache. Haupt hörte nie auf, die vielsprachigen Erinnerungen seiner Kindheit weiter zu pflegen. Wohl auch aus diesem Grund bezeichnete ein Wortakrobat wie Stasiuk das Werk als unbeschreibbar. ?… das Buch fällt uns aus den Händen, weil die Macht der Wahrnehmung beschränkt ist. Um all das zu begreifen und zu erfassen, was uns der Autor auf ein oder zwei Seiten vorsetzt.? Umso größer ist aber der Drang danach, das Buch wieder in die Hand zu nehmen.

(Steffen Lehmann)

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