Der unbekannte Orson Welles, 5 Kurzfilme

06.09.2003, Schaubühne Lindenfels: Der unbekannte Orson Welles, 5 Kurzfilme
Hollywood in gut
Orson Welles zwischen Monty Python und Shakespeare

30. Oktober 1938: Der amerikanische Radiosender CBS, im ganzen Land zu empfangen, unterbricht sein Programm für die Meldung, dass auf dem Mars Explosionen beobachtet worden seien. Dann spielt man Tanzmusik, um jedoch kurz darauf wieder eine Nachricht zu verkünden: Bei Princeton sei ein zylinderförmiger Flugkörper vom Himmel gefallen, ein Reporter sei für den Sender vor Ort. Während dieser noch den Farmer, in dessen Feld nun ein tiefer Krater klaffe, interviewt, hören die Amerikaner an den Radiogeräten plötzlich eine Menschenmenge schreien, der Interviewer beschreibt mit panischer Stimme, wie sich der Zylinder öffnet, Außerirdische heraustreten und einen Hitzestrahl gegen die versammelte Menschenmenge richten… Die Stimme des Reporters erstirbt, und kurze Zeit später verkündet der Studiosprecher, dass vor Ort mindestens 40 Menschen umgekommen seien. Während man einen General den Ausnahmezustand ausrufen hört und gemeldet wird, dass die US-Armee einen Gegenschlag vorbereite, lacht sich einer heimlich ins Fäustchen: Orson Welles.

Der sitzt nämlich im Studio und ist Studiosprecher, Außenreporter, Farmer, Sachverständiger etc. in Personalunion. Das, was bei CBS läuft, ist sein Hörspiel (entstanden nach H.G. Wells‘ „Krieg der Welten“) und genau das, was er sich unter einem gelungenen Halloween-Streich vorstellt. Die Folgen dieses „Streichs“ waren beträchtlich: Millionen von Radiohörern, die das Gesendete als Nachrichten interpretiert hatten, verließen fluchtartig die Städte; es kam zu Plünderungen, Sondergottesdiensten, im letzten Moment verhinderten Selbstmorden von verzweifelten Menschen, die nicht den Außerirdischen zum Opfer fallen wollten – alles aufgrund eines Hörspiels, das nicht einmal eine Stunde dauerte. Orson Welles wurde weltberühmt.

„Hollywood ist schon in Ordnung. Nur die Filme sind halt so schlecht“, so Welles; seinen Film Citizen Kane von 1941, bei dem er sowohl Regie führte als auch mitspielte, konnte er damit nicht gemeint haben, denn dieser wird auch heute noch oft zu den zehn besten Filmen aller Zeiten gezählt – und machte das Multitalent (Welles war u.a. Journalist, Schauspieler, Maler und Regisseur) noch bekannter, als es ohnehin schon war. Wenn nun heutzutage das Münchner Filmmuseum aus dem Nachlass des 1985 Gestorbenen fünf bisher unbekannte und teilweise unbearbeitete Kurzfilme zu einem 80 Minuten dauernden Programm zusammenschneidet, darf man gespannt sein. Film ab!

Orson Welles als Churchill: Sprüche des britischen Staatsmanns zitierend, schreitet er durch abgedunkelte Räume; ab und zu legt ein Interviewer eine Frage vor („Wie, denken Sie, wird die Geschichte Sie später einmal sehen?“), auf die Churchill-Welles dann griesgrämig antwortet („Die Geschichte wird freundlich mit mir umgehen – denn ich werde sie schreiben.“). Oder er sitzt mit einer Dame an einem Tisch, Zigarrenrauch umwölkt seine Stirn. Sie: „Wenn du mein Mann wärst, würde ich dir Gift in den Kaffee tun.“ Er: „Wenn du meine Frau wärst, würde ich ihn trinken.“ So geht das eine Weile weiter, sehr zur Freude des Publikums. Das Thema des ersten Kurzfilms (entstanden 1968/69) ist London, und nach der Churchill-Episode tritt ein trotteliger Reporter auf, der auf den Straßen dem „Swinging London“ (Welles‘ Kommentar: „London swingt nicht, es baumelt:“) nachspüren will. Skurrile Typen en masse kreuzen seinen Weg, und immer wieder läuft die „One-Man-Band“ durchs Bild – bestehend aus einer Gestalt, die mit auf den Rücken geschnallter Pauke in eine Posaune singt.

Wenn man dann noch den Besuch bei einer anscheinend wahnsinnigen Adelsfamilie und einem grenzdebilen Schneider-Duo gesehen hat, kommt man nicht umhin, eine Parallele zu dem absurden Humor Monty Pythons zu ziehen – sehr englisch und sehr lustig.

Der nächste Kurzfilm, Moby Dick, zeigt Welles, übrigens bei allen fünf Filmen Drehbuchautor, Regisseur, Produzent und Schauspieler, bei einem abenteuerlichen Experiment: Herrman Melvilles Roman „Moby Dick“ wird als zwanzigminütiges Theaterstück aufgeführt, die Kulisse entfällt bis auf ein paar Wände ganz, und es gibt auch nur einen einzigen Schauspieler für alle Rollen: Natürlich – man ahnt es schon – Orson Welles. Die Inszenierung lebt von der Stimme des Akteurs, die zum Glück nicht synchronisiert, sondern untertitelt wurde; hier beginnt man zu verstehen, wieso dieser Mann 1938 in seinem Hörspiel so authentisch gewirkt hat.

Was folgt, ist ein Film über Zauberei: Den Zuschauern, inzwischen überzeugt von den narzisstischen Tendenzen des Filmers, präsentiert sich Welles als Magier, der mit geheimnisvollen Handbewegungen und unter verschwenderischem Einsatz orientalischer Musik „Prinzessinnen vergangener Zeiten“ auftauchen, schweben und wieder verschwinden lässt – besser können es Copperfield und Co. auch nicht. Als „Abu Khan“ führt er gefährliche Revolvertricks vor, demonstriert aber auch augenzwinkernd, wie einer, der angeblich durch Hypnose in tiefen Schlaf versetzt werden soll, in Wirklichkeit mit einem riesigen Holzhammer ins Reich der Träume befördert wird. Ein guter Trick, findet Welles, „it never failed.“

Nach dem relativ kurzen vierten Film, in dem ein Gedicht von Charles Lindbergh rezitiert wird, knüpft die fünfte Episode in Stil und Form an London an, nur dass der Schauplatz von Welles‘ Beobachtungen diesmal Wien ist. Die Kombination von Zooms auf Torten, österreichischen Schlagern und einmal mehr Welles‘ herrlich sarkastischen Kommentaren sorgt beim Kinopublikum erneut für zahlreiche Lacher. Schade, dass 80 Minuten dann doch so schnell vorbei sind – man darf sich wundern über die Zeitverfluggeschwindigkeit.

Aber wenn man bedenkt, wie viele Filme noch darauf warten, in Archiven und verstaubten Hinterzimmern entdeckt zu werden, kann man darauf hoffen, noch öfter in den Genuss einer solchen Überraschung zu kommen, idealer Weise zu Lebzeiten des Regisseurs, damit dieser auch etwas davon hat. Denn wie sagte schon Orson Welles: „Geld ist jener sechste Sinn, der den Genuss der anderen fünf erst möglich macht.“(Friederike Haupt)

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