Buchempfehlung: Lea Singer: Wahnsinns Liebe. Roman (Steffen Lehmann)

Lea Singer: Wahnsinns Liebe. Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2003, 240 Seiten, geb., 19,90 Euro.


Von der Unfähigkeit zu teilen

Der Komponist Paul Hindemith beschrieb einmal die Musik seines Kollegen Arnold Schönberg: ?Sie bedienen sich der gleichen Tricks wie die schauerlich-schöne Achterbahn auf Jahrmärkten und Vergnügungsparks, in denen die vergnügungssüchtigen Besucher so durchgeschüttelt werden, dass sich sogar bei einem unbeteiligten Zuschauer das Innerste brezelartig verdreht.? Genau wie der größte Teil des Publikums seiner Zeit, glaubte auch Hindemith nicht daran, dass die Zwölfton-Musik Schönbergs sich je im Konzertsaal durchsetzen würde. Nun, die Zeit hat es ein wenig relativiert.

In Lea Singers neuem Buch geht es natürlich auch um die Musik. Allerdings nicht aus der Perspektive des unverstandenen Meisters, sondern seiner Frau Mathilde. Singer erzählt die wahre Geschichte der Mathilde Schönberg. Die Schwester des Komponisten Alexander Zemlinsky lernte als Zwanzigjährige Schönberg kennen und heiratete ihn kurz darauf. Später wagte sie das Unvorstellbarste jener Zeit, wovon viele Frauen träumten, es sich doch niemals trauten: ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, aus dem Schatten ihrer allmächtigen Männer zu treten. Wien während der Jahrhundertwende. Die Stadt ist voll mit selbst ernannten Genies, mit Schnorrern, halbseidenen Existenzen und vergessenen Frauen.

Arnold Schönberg steht noch ganz am Anfang. Die Konzerte im Großen Saal des Wiener Musikvereins werden für ihn jedes Mal zu einer Höllentour. Das Publikum versteht die Musik nicht (?Sperrt ihm das Papier weg?), die Kritiker verspotten ihn (?Ab ins Irrenhaus?) und die Musiker des Orchesters spielen nur mit halber Kraft. Zuspruch findet er nur in einem verworrenen Kreis von Studenten, Literaten und Musikern, die ihn vergöttern. Schönbergs wirkliches Kraftzentrum aber ist Mathilde. Sie ist immer da und lässt Schönberg nichts spüren von den finanziellen Schwierigkeiten. Sie ist auch da, wenn er spätabends aus der Kneipe kommt, sich zu ihr ins Bett legt und schnaufend seinen Liebesakt vollzieht.

Richard Gerstl ist auch ein Getriebener. Sich gegen jegliche Norm auflehnend, gehört für den Maler die Provokation zum Tagesgeschäft. Wie Schönberg fühlt er sich vom traditionellen Wiener Kunstbetrieb missverstanden, abgelehnt und verachtet. Komponist und Maler treffen sich zum ersten Mal 1906. Zwischen beiden entwickelt sich rasch eine Freundschaft. Eine Beziehung wie zwei Mühlsteine, zwischen die auch Mathilde Schönberg gerät. Schon bei der ersten Begegnung ist sie von Gerstl fasziniert. Auch wenn es nur das Terpentin ist, was in ihrem Gedächtnis haften bleibt. Sie spürt, dass ihr Leben einen gefährlichen Lauf nehmen wird. Ihre Affäre beginnt. Als Schönberg die beiden ertappt, ist der Eklat da.

Wie schon in ihrem ersten Roman ?Die Zunge? beschreibt Singer die Wahnsinnsliebe zwischen Gerstl und Mathilde Schönberg mit einer wunderbaren Leichtigkeit. So ist ein Sittengemälde entstanden, dass die überkommene Vorstellung von der Kunstmetropole Wien revidiert. Schönberg hat für seine Frau kein Verständnis gezeigt. Während und nach der Affäre mit Gerstl hat er Geliebte gehabt. 1921 und 1923 zwingt er seine Frau, mit ihm an den Traunsee zu fahren. Dorthin wo die Liebesgeschichte mit Richard Gerstl ihren Höhepunkt erlebte. Kurz darauf stirbt sie an Krebs. Schönberg heiratet wenige Monate später erneut. Über Mathilde Schönberg und Richard Gerstl aber legte sich der Mantel des Schweigens.

(Steffen Lehmann)

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