14.10.03 Haus des Buches
Von depressiven Pinguinen und Menschen
Andrej Kurkow liest aus ?Pinguine frieren nicht?.
Wie wird er denn bloß lesen? Russisch? Englisch? Irgendwas anderes? ?Studierte Fremdsprachen? steht in der Biographie. Vorsichtshalber mal das russische Mini-Wörterbuch eingesteckt. Doch: der polyglotte Kurkow (?Vor zwanzig Jahren hab ich noch elf Sprachen gesprochen, heute nur noch sieben?) beginnt tatsächlich auf Russisch, um dann in ein melodisches, fast reines Deutsch mit schwer fassbarem wunderschönem Einschlag zu wechseln.
Bekannt geworden ist Kurkow, der in Kiew und London lebt, mit seinem Roman ?Picknick auf dem Eis?. Die Geschichte vom melancholischen Nachruf-Autor Viktor, der gemeinsam mit einem depressiven Pinguin in einer kleinen Wohnung in Kiew lebt, ist ein Meisterwerk an Lakonie, Humor und tiefem Ernst. Mit Kaiserpinguin Mischa, von Viktor aus dem Kiewer Zoo freigekauft, dürfte er eine der liebenswertesten Nebenfiguren der Literaturgeschichte erfunden haben, und das, obwohl oder gerade weil Mischa aus naheliegenden Gründen ein arg schweigsamer Geselle ist. Während Mischa als Gag bei Beerdigungen von Neureichen arbeitet, verfasst Viktor Nachrufe für eine Zeitung. Der Haken ist, dass die betreffenden Personen samt und sonders am Leben sind. Noch.
?Picknick auf dem Eis? endete (Achtung! Spoiler!!) mit einem ukrainischen Epitaphenschreiber im pinguinfreundlichen Umfeld der Antarktis und mit einem Pinguin in der Kardiologie des Kiewer Kinderkrankenhauses. Ein brillanter Schluss ? und doch: wie geht die Geschichte denn nur weiter? Kurkow hat den zweiten Teil der Story um Viktor und Mischa vorgelegt; der Verleger, der den russischen Originaltitel (?Das Gesetz der Schnecke?) in das dämlich-flache ?Pinguine frieren nicht? (?Ach ja, das Buch mit dem Pinguin, das kauf ich mir!?) verwandelt hat, der sollte sich allerdings einmal kräftig was schämen.
Kurkow beherrscht auch auf deutsch die vielen Stimmen und Tonfälle seiner Figuren (Mischa einmal ausgenommen), wobei ein Wunder ist, wie wenig er mit theatralischen Effekten arbeitet. Doch wie er die Sphäre der neureichen Protzrussen ohne viel Häme und billigen Spaß zum akustischen Leben erweckt ? das gehört in die Annalen der literarischen Hochkomik. Man wünscht sich ein Hörbuch ? Kurkow liest Kurkow. Ein Klavier steht bereit und zwischen den Kapiteln gibt der Autor improvisierte Miniaturen zum besten. Kein Meisterpianist ? doch der Funke des Genialen blitzt auch in diesen kurzen Fragmenten. Mit hölzernem Anschlag dreht er Strawinsky, Jazz, sentimentale russische Filmschlager (bemerkenswert seine ?Phantasie über ?Utomljonnaja Solnce‘?) und allerlei Minimales durch den Wolf. Zur Literatur passt das hervorragend. Zum Schluss signiert Kurkow mein Buch und mit Freude stelle ich fest, dass er einen prächtigen Pinguin hineingemalt hat. Der Abend hat sich mehr als gelohnt.
(Stefan Horlitz)
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