Cees Nooteboom liest anläßlich des Erscheinens der ersten drei Bände der Werkausgabe (Grit Kalies)

20.10.2003, Haus des Buches
Cees Nooteboom liest anläßlich des Erscheinens der ersten drei Bände der Werkausgabe (Suhrkamp Verlag) / seines 70. Geburtstages

?Poesie handelt niemals von mir,
und ich handle niemals von ihr.
Ich bin allein, das Gedicht ist allein,
und der Rest gehört Würmern.
…? (C. Nooteboom, Gedicht ?Aas?)


Der Reisende Nooteboom

Der im Paradoxen und Poetischen bewanderte Cees Nooteboom, Autor von Büchern wie ?Ein Lied von Schein und Sein? und ?Selbstbildnis eines Anderen?, die im Regal neben denen Nabokovs und Borges‘ stehen, liest vor ein paar hundert Menschen. Der erste Text ist eine Erinnerung an eine Lesung vor Leipziger Studentinnen zu DDR-Zeiten, der zweite stammt aus der Zeit, in der er ?in der hellen Sonne [Kaliforniens] über einen Winter in Berlin schrieb.?

Die Stimme wirkt. Selbst die übersetzte Prosa wird in seinem Mund melodisch. Ein Dreizehnjähriger sagt, er habe noch nie jemand so gut vorlesen hören. Von der Kraft, fast Magie, die diese Stimme ausübt, kann man sich schon gefangen nehmen lassen, wenn man Nootebooms Gedichtauswahl auf der CD ?Bittersüß? hört (Der Hörverlag, 2001). Der sympathische niederländische Dialekt, die melodische Melancholie und die oft unkonventionellen starken Bilder bilden eine bittersüße Melange, die sich dauerhaft ins Gehirn brennt.

Aktuell indes ist die Leseauswahl etwas eng auf vermeintliche Hörbedürfnisse der Leipziger hin zugeschnitten. Die DDR-Erinnerung wirkt wie eine Außensicht / Draufsicht, das Verhalten der Studentinnen wird, paradox, kaum hinterfragt, und die gelesenen Passagen des Berlin-Romans offenbaren nur unvollkommen den ?Augenmenschen? Nooteboom, der, ob nun in Spanien, Japan oder Indien, lebendig und genau wahrnimmt und – man sieht mit dem Gehirn – gedankliche Ausflüge und Abschweife zuläßt.

Glücklicherweise liest Nooteboom vor der Diskussion und der stundenfüllenden Aufgabe des Signierens noch zwei Gedichte. Auf Niederländisch und Deutsch erklingen ?Basho I? (?…/ Hier kam der Dichter vorbei auf seiner Reise nach Norden. / Hier kam der Dichter für immer endgültig vorbei.?) und ?Basho IV? (?… / Auch mich verführte der Wind, der die Wolken dahintreibt.?), zwei seiner schönsten Gedichte.

Bleibt zu hoffen, daß der Dichter hier noch öfter für immer endgültig vorbei kommt und dann seine weiten philosophischen Gedichte und Geschichten liest. Daß er uns nicht der Wehmut überläßt, ?ein Gesicht, nie wieder / zu sehen.?

(Grit Kalies)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.