„Ararat”, ein Film von Atom Egoyan (Lina Dinkla)

Ararat
Kanada, 2002, 116 min
Regie: Atom Egoyan
Darsteller: Arsinée Khanjian, Charles Aznavour, Christopher Plummer
die naTo, 4.-10. März 2004

(Bild: Verleih)
Die eigentliche Unmöglichkeit, Geschichte im Gedächtnis zu bewahren
Atom Egoyans meisterhafter Film „Ararat“

„Ararat“, eine kunstvoll verwoben erzählte Geschichte über Schuld, Wahrheit und Erinnerung, die „richtige“ Erinnerung; „Ararat“, ein Film über den Genozid an den Armeniern durch die Türkei im Jahr 1915 und „Ararat“, der Film im Film.
Die verschiedenen Einstiegspunkte, die Egoyan anbietet, den Film „Ararat“ zu begreifen sind vielfältig, aber einer wie der andere nicht ausreichend, um der Komplexität und Relevanz dieser Geschichte gerecht zu werden. Der Völkermord an den Armeniern bildet zunächst die Fläche, auf der sich die Frage nach Schuld, nach Wahrheit, nach den Opfern, nach der Erinnerung und nach der Wahrheit spiegeln kann. Uns so lässt Egoyan mehrere Handlungsstränge ineinander greifen, um sich diesen Menschheitsfragen zu nähern.

Vancouver 2004: Ani ist Kunsthistorikern und geht ganz in der Welt des armenischen Malers Achiles Gorky auf, der den Genozid als Kind er- und überlebte. Ani ist auch die Mutter von Raffi, dessen Vater vor zehn Jahren als Freiheitskämpfer starb. Raffi hat eine Beziehung mit Celia, deren Vater von Ani verlassen wurde. Celias Vater ist ebenfalls tot, er starb durch einen Unfall, sie macht allerdings Ani dafür verantwortlich. Philip ist Museumswächter, der mit Ali, dem halbtürkischen Schauspieler, zusammenlebt. Philips Vater ist Zollbeamter am Flughafen von Vancouver und missbilligt die Beziehung zwischen Ali und seinem Sohn. Edward Saroyan ist ein armenischer Regisseur und will einen Film in Kanada über den armenischen Völkermord drehen, „Ararat“ wird er heißen und Grundlage des Films sind die Erinnerungen des amerikanischen Missionars Ussher. Ani wird bei den Dreharbeiten als Beraterin gebraucht und auch Raffi findet dort einen Job und wird so mit der eigenen Geschichte, der Vergangenheit seines Volkes konfrontiert. Er ist so sehr damit beschäftigt seine Identität als Armenier zu begreifen, dass er an die Stätte des „Anfangs“ fährt, um sich seiner Wurzeln bewusst zu werden, um seinen Geist zu finden, wie Celia es ihm rät.

Die Geschichten der Personen sind eng miteinander verknüpft, auf vielfältige Weise berühren sie einander und tragen zur Vielschichtigkeit des filmischen Kosmos bei. Die jeweilige Rolle der dargestellten Personen wird jedoch nur so weit angedeutet, wie es für das Verständnis des Films nötig ist. Dem Zuschauer kommt gerade so viel an Information zu, dass er sich die Tiefe der jeweiligen Konflikte selbst vorstellen kann. Egoyan spart sich weite, langatmige Ausführungen und Erklärungen, was der Dichte des Films zugute kommt. Nach und nach werden die Berührungspunkte und Verbindungen der Personen entblättert und alles kreist um die Frage nach dem, was die „richtige“ Erinnerung sei.

Der armenische Ort Van im Jahr 1915: hier vermischt sich Gegenwart und Vergangenheit. Egoyan stellt die Vergangenheit nicht als ein „so war es“ dar, sondern überrascht den Zuschauer ein ums andere Mal damit, die Situation als Filmkulisse zu enttarnen, als eine am Drehset erdachte, vielleicht auch verzerrte Geschichte. Der historische Kontext, als Film im Film dargestellt und auch als solcher erkennbar. Der Drehort ist als solcher auszumachen, mit den künstlich ausgeleuchteten Kulissen und der überzeichneten Spielweise der Figuren. Es scheint, als wolle Egoyan damit seine eigene Unsicherheit zum Ausdruck bringen. Dass er es als zu schwierig empfindet, eine Erinnerung, eine erzählte Geschichte als die „richtige“ Erinnerung zu zeigen. Wie ist es möglich, sich an ein kollektives, an ein für mehrere Generationen identitätsstiftendes Ereignis zu erinnern, und wie kann man dieses dann darstellen? Wie darf man sich erinnern, wenn man es selber nicht erlebt hat? Wer gibt einem das Recht, und wer nimmt einem das Recht, sich so zu erinnern, wie man selber möchte?

„Ararat“ ist ein meisterhafter Film über die eigentliche Unmöglichkeit, Geschichte im Gedächtnis zu bewahren. Um es konkret auszudrücken, für den Genozid von 1915 gibt es keine Beweise. Die Türkei verleugnet bis heute, dass es einen von ihr initiierten Völkermord gegeben hat. Der Film basiert daher auf Zeugenaussagen, auf Tagebuchberichten und ähnlichen „unsicheren“ Quellen. Egoyan stellt hier mit seinen Alter Egos Edward Saroyan und dem spurensuchenden Raffi auch seine eigene Geschichte, sein eigenes Dilemma dar, um sich das Andenken an seine Geschichte, seine Herkunft zu erhalten und sich seiner Identität sicher sein zu können.(Lina Dinkla)

Der Film läuft bis zum 10.3. in der naTo und vom 11. bis 24.3. im Cineding.

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