Sinfonie der Bauhausstadt: Kurt-Weill-Fest in Dessau (Steffen Kühn)

Kurt – Weill – Fest
Dessau
27.02.-07.03.2004
Kurt Weill-Musiktheater in der Marienkirche Dessau
5. März 2004

Kurt Weill: „Die stille Stadt“, 1919
Text: Richard Dehmel
Aaron Copland: „Quiet City“, Suite für Trompete, Englischhorn und Streicher, 1939
Kurt Weill: „Mahagonny Songspiel“, 1927
Text: Bertolt Brecht
Kurt Weill: „Bastille – Musik“ Suite, 1927
Steve Reich: „City Life“, 1995

Münchner Symphoniker
Singer Pur – Gesang
dura lux – Projektionen
Musikalische Leitung – Heiko Mathias Förster
Regie und Ausstattung – Martin Gruber
Dramaturgie – Martin Ojster
Konzeption und Produktionsleitung – Clemens Birnbaum

„Sinfonie der Großstadt“

Moderne Städte sind anziehend und abstoßend zugleich. Der subjektive Eindruck wird dabei vom jeweiligen Blickwinkel bestimmt. Die Macht der großen Anzahl von Menschen und Kulturen bedingt die unterschiedlichsten und vielfältigsten Prozesse, die letztendlich das Gebilde Großstadt sehr schwer steuerbar machen. Das fasziniert im Positiven wie im Negativen – ähnlich wie uns die Natur in ihren Extremen überwältigt. Der programmatische Titel des Abends, „Sinfonie der Großstadt“ suggeriert die Suche nach Übereinstimmendem, nach Gleichklingendem zum Thema Stadt.

Mit dem von Weill 1919 vertonten Gedicht „Die stille Stadt“ nach einem Gedicht von Richard Dehmel beginnt der Abend mit einer romantischen Skizze. Weill erweist sich da mit seinen 19 Jahren noch ganz melodisch.

„Quiet City“ von Aaron Copland knüpft im Konzert in ruhigen Reflexionen an Weills frühe Komposition an. Trompete und Englischhorn befinden sich jeweils seitlich erhöht links und rechts in den Seitenschiffen, die Streicher im Zentrum der Marienkirche. Die Konzeption des Stückes der drei sich entfernenden und sich wieder überlagernden Flächen wird durch diese räumliche Anordnung der Musiker sehr eindrücklich. Den ruhigen Streicherakkorden jagen Trompete und Englischhorn räumlich hinterher. Zum großen Teil in traditioneller Manier erlaubt Copland lediglich der Trompete Ausbrüche in Richtung des Jazz einer schrillen Stadt. Die Bilder der Videoprojektionen erfahren dabei Beschleunigung. Nach anfänglich reinem Abbilden von Stadtlandschaften gehen sie über in Detail- und Strukturdarstellungen. Eine eigenständige Aussage erreichen die Projektionen allerdings dabei nicht und erliegen der Gefahr der bloßen Dekoration.

Quasi mit einem „Schluss mit lustig“ leitet Weills „Mahagonny Songspiel“ den zweiten Teil des Abends ein. Die Großtadt in all ihren oft auch beängstigenden Facetten inspirierte die folgenden drei Stücke: Weill geht mit dem Songspiel auf sozialkritischen Kurs, seine „Bastille Musik“ führt diesen Duktus musikalisch fort. Steve Reich schließlich, 70 Jahre später, verarbeitet den nie endenden akustischen Output New Yorks in eine sehr dichte Komposition.

Martin Gruber orientiert sich in der Inszenierung von „Mahagonny“ an den Regieanweisungen der Uraufführung eines bewusst reduzierten Bühnenbildes. Er geht noch weiter und streicht die bühnenbildnerischen Mittel bis auf wenige Koffer zusammen. Die zwei Sängerinnen und vier Sänger erzählen von der Sehnsucht und dem Leben in Mahagonny. Von „Oh, show us the way to the next whisky bar“ bis „Und weil es nichts gibt, woran man sich halten kann“ werden die ambivalenten Gefühle der Menschen in den explodierenden Städten der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts beschrieben.

Die Kombination des kargen oder besser nicht vorhandenen Bühnenbildes mit der ebenfalls reduzierten Choreografie geht allerdings nicht auf. Außerdem können die durch head sets verkünstelten Stimmen nur wenig Authentizität vermitteln. Etwas befreit spielen dann die Musiker die „Bastille Musik“. Nach einem fanfarenhaften Beginn erzählen die Bläser solistisch verschiedene Geschichten über die Stadt und werden immer wieder vom gesamten Bläsersatz unterbrochen.

Erstaunlich dann der Übergang zu „City Life“. Weills Musik im Ansatz sehr spezifisch, Reichs Stück dagegen minimalistisch abstrakt. Trotzdem ergibt sich doch in Farbe und Tempo eine überraschende Übereinstimmung. Lediglich in der Dichte unterscheidet sich Steve Reichs Stück vom bisher Gehörten. Und als ob die Symphoniker gerade diese Dichte gebraucht hätten, entfaltet das Orchester jetzt spürbar Musikalität und Spielfreude. Die Klangwelt der Stadt – Stimmen, Sirenen, Verkehrslärm in verfremdeter Form – bildet den Teppich der Komposition. Das Tempo, den Puls der Stadt, erzeugen Schlagwerke, besonders dabei die Xylophone. Es entsteht eine bisweilen drückend intensive Klangwelt von sich überlagernden und vermischenden Strukturen, von vertikalen und horizontalen Akzenten. Der Abend ist nun deutlich am Ende des 20. Jahrhunderts angekommen, wenngleich das Dessauer Publikum etwas befremdet reagiert.

(Steffen Kühn)

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