Kant goes Pop

Die Uraufführung der „Kant Pop Symphony“ von Peter Herrmann wird in der Musikhochschule aufgeführt

Peter Herrmann widmet dem berühmten Königsberger Philosophen Immanuel Kant zu dessen 200. Todesjahr eine „Kant Pop Symphony“. Was hat man davon zu halten? Es fällt schwer, die spröde Tiefsinnigkeit Kants mit der hippen Nonchalance des Pop zusammenzudenken. Beabsichtigt Herrmann etwa die Transzendenz, die Nivellierung von Genregrenzen, die Synthese von Abstraktion und Unterhaltung? Nichts dergleichen.

Warum Herrmann sein Stück so nennt, wie er es nennt, erschließt sich bei genauerer Betrachtung nicht: es ist weder poppig im Sinne zeitgenössischer Populärmusik noch „eine Sinfonie im klassischen Sinne“ und „die ausgewählten Texte von Kant werden nicht vertont“. Der Verdacht drängt sich auf, der Komponist betreibe name dropping, um, erstens, auf den fahrenden Zug der Kant-Renaissance aufzuspringen, zweitens, dem Stück für kleines Orchester (mit 3 Violinen) den Anschein eines großen Opus zu verleihen, das sich in der Königsklasse Sinfonie bewege, und drittens, um mit dem Etikett Pop die avantgardistischen Kollegen vorsorglich zu besänftigen, die sonst womöglich naserümpfend beim ersten Dur-Akkord den Saal verlassen würden.

Doch schauen wir uns die Form des Stückes näher an, denn (musikalische) Schönheit – die versuchen wir hier exemplarisch zu eruieren – ist für Kant grundsätzlich eine Eigenschaft der Form. Die Form manifestiert sich in der Komposition und die ist bei Peter Herrmann folgendermaßen gegliedert: 1. Präludium (mit Texten im Hintergrund gesprochen), 2. Texte, 3. Instrumental, 4. Texte, 5. Instrumental, 6. Texte / Musik, 7. Postludium (mit Texten im Hintergrund gesprochen).

Es ist augenfällig, dass das Stück sehr textlastig daherkommt. Ein Sprecher deklamiert minutenlang Textauszüge aus der „Kritik der reinen Vernunft“, der „Kritik der praktischen Vernunft“, der „Kritik der Urteilskraft“ und dem Aufsatz „Zum ewigen Frieden“ – zweifelsohne Kants berühmtesten Schriften. Eigentlich müsste man diese gesprochenen Passagen, die gut 15 der insgesamt 70 Minuten des Werkes ausmachen, bei dessen Bewertung außer Acht lassen, da Herrmann an ihnen keinen Anteil hat. Er schmückt sich mit Ihnen, nutzt sie, um seinem Stück eine philosophische Aura zu verleihen, um geistvolle Atmosphäre zu schaffen. „Sie sollen mit ihrer Gedankentiefe den musikalischen Raum ins Verbale erweitern“ meint der Komponist dazu. Da darf man sich wundern und fragen, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre Kants Texte (unter anderem zu Raum und Zeit) musikalisch auszuloten, zu kommentieren? So stehen Musik und Texte merkwürdig beziehungslos nebeneinander. Da hilft es auch nichts, wenn Herrmann eine ohnehin spärlich eingesetzte Sängerin ab und an „Frieden, Fri-ie-den, da, da, da“ singen lässt. Das nimmt sich neben Kants Text „Zum ewigen Frieden“ geradezu lächerlich aus und wirkt erzwungen.

Wenn Kant von schöner Kunst fordert, sie solle imitatio naturae sein, Imitation der Natur (was nicht bedeutet, Kant sei ein Vertreter der Mimesis, der Lehre von der bloßen Naturnachahmung durch die Kunst), dann verlangt er, dass sie nicht den Eindruck des Gezwungenen und Pedantischen zu vermitteln habe, sondern vielmehr natürlich daherkommen solle. Das heißt, dass Kant, der der klassischen Definition der Schönheit, verstanden als Einheit in der Mannigfaltigkeit, nahe steht, Kunst als schöne Kunst nur anerkennt, wenn sie es versteht, die Mannigfaltigkeit ihrer Elemente wie von selbst zu einer schönen Gestalt zu fügen.

In Peter Hermanns Stück bleibt Mannigfaltiges mannigfaltig – zeitgenössische Kunstmusik mit zarten Jazz-, Blues-, Rock- und Elektroanklängen, inkonsequent durchgeführt und wahllos aneinandergereiht.

Besonders wichtig ist Kant, dass schöne Kunst Geist haben muss. Der Geist schöner Kunst ist das Moment an Lebendigkeit im Kunstwerk, das den Rezipienten fesselt und ihn zu einer wiederholten Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk veranlasst. Das Moment an Lebendigkeit wird, wenn die Kunst in Verbindung mit einem Text steht, durch diesen ausgelöst und bei adäquater Umsetzung des Textes vorangetrieben.

Es wäre ungerecht Peter Herrmann vorzuwerfen, er habe die kantischen Texte nicht adäquat umgesetzt. Wer die kantischen Texte kennt, weiß, dass sie es geradezu unmöglich machen ihren Gehalt in befriedigender Weise, d.h. lustauslösend, künstlerisch zu verarbeiten. Was man dem Komponisten jedoch vorwerfen kann, ist, dass er Kants Texte und dessen Namen missbraucht, um eine Publikumswirksamkeit zu erzielen, die sein Werk per se nicht rechtfertigt.

15. März 2004, Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“

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