Volker Braun wird 65! Eine Literatur- und Geburtstagsfeier (Stefan Rosmer)

12. Mai 2004, 20 Uhr, Haus des Buches

Plausch zum 65.
Volker Braun und Zeitgenossen im Haus des Buches

Geburtstage sind ein Grund zum Feiern und zum Schenken, und wenn jemand wie Volker Braun 65 wird, sollte man nicht nur ein ehrwürdiges, sondern auch ein originelles Geschenk parat haben. Dem Leipziger Bibliophilen-Abend, der gemeinsam mit dem Haus des Buches zur Lesung eingeladen hatte, war eine passende Idee gekommen, und so konnte dem Jubilar zu Beginn das kleine, aber feine Geschenk überreicht werden: eine reich ausgestattete, handsignierte Erstausgabe von Volker Brauns Erzählung „Das Mittagsmahl“ in der Auflage von 100 Stück. Alle, die sich nicht zu den Besitzern dieser Rarität zählen, hatten an diesem Abend immerhin die Möglichkeit, Brauns Erzählung zu hören.

Braun erzählt – wortwitzig und mitunter verwickelt, aber diesen Eindruck mag auch das bloße Hören erweckt haben – die Geschichte seiner Eltern bis zum Tod seines Vaters im Krieg. Das klingt autobiogaphisch, und im autobiogaphischen Nachforschen mag zugleich ein Impetus für die Niederschrift der Erzählung gelegen haben: im anschließenden Gespräch erzählte Braun, dass er die Geschichte auch für seine Brüder aufgeschrieben und veröffentlicht habe. Später äußert er auf eine Zwischenfrage, dass ihn beschäftigt habe, warum die Frauen und ebenso seine Mutter ihre Männer in den Krieg ziehen ließen, und dass er sich gefragt habe, ob es wohl eine Dunkelziffer von Frauen gebe und wie hoch sie sei, die über ein ausbleibende Rückkehr gar nicht so unglücklich gewesen wären. Diese Vermutung – oder sollte man Verdacht sagen? – habe sich, als Braun sich mit der Geschichte seiner Eltern beschäftigte, nicht bestätigt.

Nun hat Braun keine Familienchronik geschrieben, sondern eine Erzählung, in der der Autor dem autobiographischen Ausgangspunkt gemäß fast omnipräsent erscheint. Wer ist dieses schreibende Ich, das da bei allem anwesend ist, an allem teilnimmt? Es ist das Kind im Bauch der Mutter, das dabei ist, wenn sich die Eltern sehen, und es ist der kaum sechsjährige Knabe, der weiß, was sein Vater im Feld denkt. Und es ist der Autor Volker Braun, der weiß, was sein Vater auf dem Schlachtfeld dachte: „Er wußte und ich weiß es, während ich schreibe.“ Die Erzählung gewinnt eine eigenen Reiz zwischen der Plastizität, mit der sie Figuren und Geschehen darstellt, als wäre der Erzähler dabeigewesen, und der Tatsache, dass es sich um ein Kind handelt, das das alles wohl kaum noch wissen kann: die eigene Geschichte als Geschichte?
Es war ein Geburtstagsabend, und so kam ein weiteres Geschenk hinzu. Der Leipziger Literaturwissenschaftler Prof. Klaus Schuhmann hatte zum 65. einen Band mit Essays zu Volker Brauns Werk mit dem Titel „Ich bin der Braun, den ihr kritisiert“ veröffentlicht, der Volker Braun nun feierlich und mit Rührung übergeben wurde.

Auf dem Podium saßen drei Studienkollegen und Weggefährten aus alten Leipziger und DDR-Tagen, und der dritte im Bunde, der freundlich-distanzierte Michael Hametner, hatte Schuhmann unglücklicherweise gebeten, etwas aus seinem Buch vorzutragen: zunächst das Inhaltsverzeichnis, dann einen Aufsatz über Epigrammatik in der DDR- und Nachwende-Literatur. Es war schon ein großer Schritt, den das Publikum da mitgehen sollte. Nun – das ging vorüber, und der Abend in den Gesprächsteil über. Die Gefahr, dass sich die Herren im andeutungsreichen, mit gehörig Pathos angereicherten Erinnerungsnebel verirren könnten, war angesichts der Konstellation nicht ganz unerheblich. Allein, Volker Braun zeigte sich souverän und wußte auf Hametners nicht gerade originelle Fragen nach dem Verhältnis von Dichter, Literaturwissenschaft, Kritik und Politik spannende und äußerst komische Geschichten zu erzählen; auch ad hoc kann Braun gut erzählen, ohne dass ihm trotz seiner freundlichen, bescheiden-einnehmenden Art der Sinn fürs Zugespitzte abhanden käme. Das Zuhören war ein Vergnügen, und weil sich die anderen Herren angesichts solch charmanter Omnipräsenz aufs Stichworte-Liefern beschränkten, wurde das Vergnügen nicht allzu lang unterbrochen.

Zum Schluss folgten noch zwei Gedichte. Auch hier zeigte sich, dass Braun zwar überaus komisch sei kann – das zu bemerken fiel einem nach Hametners wiederholten Hinweisen nicht schwer – dass er aber die ernsteren Seiten des Lebens in seiner Literatur nicht ausspart.

(Stefan Rosmer)

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