Reisebrief: „Berenice” – eine Oper nach Edgar Allan Poe (Steffen Kühn)

„Berenice“ – Oper nach Edgar Allan Poe von Johannes Maria Staud
22. 5. 04, 20.00 Uhr, Ronacher Wien

Libretto: Durs Grünbein

Kompositions- und Librettoauftrag der Stadt München für die Münchner Biennale, die Wiener Festwochen und der Berliner Festspiele
Koproduktion Münchner Biennale, Staatstheater am Gärtnerplatz, München, Wiener Festwochen und Berliner Festspiele
Uraufführung 12. 5. 04 Staatstheater am Gärtnerplatz München

Musikalische LeitungStefan Asbury
RegieClaus Guth
Bühne und KostümeChristian Schmidt
VideoAlex Buresch, Kai Ehlers
LichtGeorg Boeshenz

Klangforum Wien

Einführung: Johannes Maria Staud, Daniel Ender


David Lynchs unaufhaltsame Ankunft im (Musik)-Theater Österreichs

Die Vertonung von David Lynchs Film „Lost Highway“ durch Olga Neuwirth (Libretto Elfriede Jelinek) wurde im Herbst 2003 in Graz uraufgeführt. Am Burgtheater wird in der Spielzeit 2003/2004 eine Adaption von „Mulholland Drive“ von Niclas Stemann zu sehen sein. Was hat nun Edgar Allan Poe in seinem 19. Jahrhundert mit David Lynch zu tun?

Hinsichtlich der 1835 von Poe veröffentlichten Novelle „Berenice“ ergeben sich verblüffende Gemeinsamkeiten. Die Geschichte wurde inspiriert von einer realen Begebenheit: 1833 berichtete der „Baltimore Saturday Visitor“ über eine Grabschändung. Lynchs Filmen steht sie, kurz gesagt, in Sachen Grauenhaftes, Geheimnisvolles, Skurriles und in der Meisterschaft von Andeutungen und Vielschichtigem in nichts nach.

Berenice und ihr Cousin Egaeus, schon die Wahl der Namen eröffnet Dimensionen, wachsen in inzestuöser Gemeinschaft auf dem Landgut von Egaeus´ Eltern auf. Beide erkranken: Sie, das schöne, lebensfrohe Mädchen, verfällt physisch durch Schwindsucht und Anfälle von Epilepsie. Er, der grüblerische, scheue Büchermensch, leidet psychisch an einer damals so genannten Monomanie, einer übersteigertem Bessenheit an banalen Dingen.

Diese Bessenheit fokussiert sich am Ende auf die Zähne, das Gebiss Berenices, welche im Totenbett Egaeus noch einmal tapfer anlächelt und dadurch ihre Zähne entblößt. Egaeus, angesichts des Verfalls des schönen Mädchens, kommt nicht von der Ungeheuerlichkeit, der Banalität dieses Anblickes los. Am Ende öffnet er in Trance Berenices Grab und bemächtigt sich ihrer 32 Zähne. Erst ein Schrei der nur scheintoten Berenice lässt ihn in unsere Welt zurückkehren.

Das Libretto Durs Gründbeins hält sich weitgehend an die Vorlage Poes. Erweitert wird die Handlung auf der direkten Ebene durch die Einführung eines Hausmädchens, des Hausarztes, der toten Mutter Egaeus‘ und eines Dieners. In einer weiteren Ebene tritt der Dichter selbst, getrieben von seinem Dämon, einem weiblichen Vampir, auf. In faustschen Dialogen wird der Dichter etwas zu akademisch in den Menschen Poe und das literarische Genie Poe zerlegt.

Neben den skizzierten Hauptlinien birgt der Stoff noch eine Vielzahl von nur angedeuteten oder versteckten Ebenen: homoerotische Phantasien zwischen Berenice und dem Hausmädchen, der Verlust Egaeus´ Mutter, erotische Anwandlungen des Hausarztes oder die für Poe so typische persönliche Identifizierung mit seinen Figuren.

Nicht nur auf den ersten Blick eine scheinbar unlösbare Aufgabe hinsichtlich Inszenierbarkeit und Bühnebild. Wäre da nicht Claus Guth mit seinem langjährigen Partner Christian Schmidt. Ohne den Stoff weitere Bedeutungen „verpassen zu wollen“, lassen sie sich leidenschaftlich auf die Vorlage ein: Auf der Bühne ein Ausschnitt einer modernen Villa. Das Erdgeschoss mit dem Eingang und der Wagenvorfahrt gehört Poe, unmissverständlich am Nummernschild E-A-POE seines Wagens zu erkennen, seine blutdürstige Muse malträtiert ihn in und um seinen Wagen. Das Obergeschoss des Hauses ist komplett verglast. In den dahinter liegenden drei Räumen wird die Welt unter der Schädeldecke beispielsweise in Form von Egaeus´ Albträumen visualisiert. Geschlossen durch Lamellen dienen diese Flächen dann den Videoprojektion. Die Videos, ob abstrakt oder auch bildlich, stehen in direktem Bezug zur Handlung.

Ein traumhaftes filmreifes Set, was durch die Sänger und Schauspieler, durch die Lichtregie von Georg Boeshenz mit Leben gefüllt wird. Egaeus ist mit einem Bassbariton (Matthias Bundschuh) und einem Schauspieler (Otto Katzameier) besetzt. Weitere Sängerinnen Berenice (Dorothee Mields) als Sopran, der Vamp (Anne-Carolyn Schlüter) als Mezzosopran, das Hausmädchen (Eva Resch) hoher Sopran und die tote Mutter (Regine Mahn) Alt.

In der Tradition der Kammeroper arbeitet Komponist Johannes Maria Staud mit Variationen von Sprache und Gesang. Bei Egaeus wird übereinander, teils gegeneinander gesprochen und gesungen. Die Musik verbleibt bei gesprochenen Passagen nur im Hintergrund, genügt sich oft in Schlagzeugaktionen. Im Ensemble bei gesungenen Passagen dominieren Bläser, weitere Kontraste entstehen durch Einspielungen von Geräuschen aus Maschinenklängen. Musikalische Klammern bilden in der sonst wenig assoziativen Musik tonale gesetzte balladeske Szenen.

Zu Beginn beim ersten Auftritt singt Berenice die Ballade von den Geschwisterkindern. In der erotischen Szene mit dem Hausmädchen wird mittels Klavier und Trompeten eine völlig ausgelassene, ironische Stimmung erzeugt. Diese deutlich zur Popularmusik tendierenden Lieder verlieren sich dann wieder in expressiven Streicherkaskaden. Das Klangforum Wien unter Stefan Asbury setzt äußerst konzentriert die exakten Spielanweisungen Stauds um und versucht erfolgreich in den wenigen Passagen, welche die Partitur zulässt, eine charakteristische Aussage zu finden.

Großen Raum nehmen die Monologe Egaeus´ ein, in denen er über sein Leben, seine Krankheit, ja seine Abgründe und natürlich seine Geliebte reflektiert. Strukturell gekonnt wird die Person durch das Nebeneinander von Sprache und Gesang in ihrer Vielschichtigkeit verständlich. Gerade auch in diesen zum Teil zu breiten Reflexionen überzeugt das phantastische Set der Inszenierung: In einem wahren Feuerwerk an Ideen entstehen gespielte Szenen in den drei Räumen, die Videoprojektionen stellen subtile Verbindungen zum Text her oder werden quasi interaktiv von Egaeus mittels Kamera selbst erzeugt. Der Rausch von wunderbaren Bildern ist der eigentliche Höhepunkt des Abends.

Über die Musik ist von Staud selbst und von Daniel Ender in der Einführung eine Stunde vor der Vorstellung viel gesagt worden. Der Text Enders im Programmheft ist in seiner Überhöhung der Leistungen Stauds fast peinlich, in dem laxen Umgang mit Zitaten und im Erliegen der Versuchung, eigene Texte zu zitieren, geradezu unlauter. Die Verheißungen Stauds und Enders über die Musik als selbstständige Dimension werden aber nicht erfüllt. Bis auf die vier tonalen Balladen erreicht die kompositorische Phantasie keine eigenständigen Bilder, zu oft im Hintergrund gehalten, gleitet die Musik ins Unverbindliche.

Die Inszenierung trägt den Abend und eröffnet die phantastisch grauenhaften Dimensionen, welche im Werk Poes angelegt sind und in Lychn´s Filmen in Österreich offensichtlich sehr eindrücklich rezipiert werden.

(Steffen Kühn)

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