„Erdbeerfelder für immer” – Erik Gedeon inszeniert den deutschen Schlager (Steffen Kühn)

„Erdbeerfelder für immer“ – Erik Gedeon
A really funny evening with singing Germans
Schauspielhaus Köln, 7. 6. 04, 19.30 Uhr

Uraufführung 1. 4. 04 Schauspielhaus Köln
Inszenierung und Musikalische LeitungErik Gedeon
Bühne und KostümeUlrich Frommhold
DramaturgieJörg Vorhaben
LichtJohan Delaere
Technische LeitungJoachim Idel

Schauspieler und Sänger
Claudia Fenner, Sandra Maria Schöner, Lilian Steffen, Andreas Grötzinger, Jörn Knebel, Dirk Lange, Bert Oberdorfer, Laurenz Wannenmacher ( Klavier )


„Es ist O.K., und der Mensch heißt Mensch“

Erik Gedeon, Sohn schwedisch-schweizerischer Eltern, hat in Belgien Komposition studiert. Seit seinem Engagement am Schauspiel Hannover fühlt er sich offensichtlich in der deutschen Theaterlandschaft sehr wohl, ja auch im Fokus seiner Stücke nimmt das Deutsche einigen Raum ein. Zurzeit musikalischer Leiter am Thalia Theater Hamburg, inszeniert er nicht nur in Köln, sondern unter anderem auch in Bremen das Stück „Familienschlager“. Das Thema dort: die deutsche Wiedervereinigung.

Die Themen in „Erdbeerfelder für immer“ kreisen um den Deutschen, deutsches Liedgut, Biedermänner, Beamtentum. Die guten alten Klischees funktionieren fast schon zu gut in der Verständigung mit dem Publikum, wäre da nicht Gedeons Faible, die Merkwürdigkeiten des Lebens durch die Brille eines spezifischen Umgangs mit Musik zu betrachten.

Sechs Beamte, drei Frauen und drei Männer, sortieren zuverlässig schläfrig im deutschen Musikarchiv Beethoven und Grönemeyer, Lindenberg und Schumann. Der Archivmusiker begeleitet sie ab und an zu einem gemeinsamen Lied. Von „Aber bitte mit Sahne“ bis zu „Verdammt lang her“. Alles wird strengt überwacht und reglementiert durch den emeritierten und erblindeten Leiter des Archivs Prof. Dr. Quentmeier. Zu Beginn in langsamem Tempo erleben wir eine akribisch genaue Persiflage deutschen Beamtentums: Aktendeckel und Stempel klappern synchron, Pausenzeiten werden akustisch angekündigt und strengstens eingehalten, die Brotzeit uniform, ein KitKat wird ebenfalls im Rhythmus genommen. Höhepunkt ist ein Aktenordnerballett: Es beginnt zu menscheln, verwirrende Berührungen oder unmissverständliches Posieren der Ordner unterhalb der Schamgrenze. Wenn dann Dr. Quentmeier wie im weiteren Verlauf regelmäßig, vielleicht um seiner Inkontinenzprobleme Herr zu werden, den Raum verlässt, brechen bei den Beamten die Oberflächen auf.

Frau Bemmstein (Lilian Steffen) beginnt den Reigen. Vom Klavier begeleitet singt, tanzt und schreit sie sich in Ekstase und fordert „Let´s have a party“. Ihre Kollegen, anfangs verwirrt, peinlich berührt, steigern sich vom zaghaften Background-Chor, bis zur völligen Ausgelassenheit, dabei singend ihre Umgebung vergessend. Die Dramaturgie folgt jetzt der Geschichte der U-Musik. In „Born to be wild“ oder „Highway to hell“ wiederholen sich die persönlichen coming outs. Das Muster ist dabei stets gleich: Nachdem ein bisher streng verborgenes Gefühl, eine Vorliebe, eine Schwäche offen zu Tage tritt, wird nach allen Formen der Peinlichkeit (das geht bis zum spontanen Wasserlassen) das schwarze Schaf durch gemeinsames Singen wieder integriert. Unterbrochen wird das Spiel nur durch Dr. Quentmeier, der aber vom allmählichen Chaos nicht berührt wird, da er ja nichts sehen kann (oder will?).

Gedeons Humor ist bitterböse, bis zur letzten Konsequenz wird der Mensch in seine unglaublich peinlichen Einzelheiten zerlegt. Leider macht er auch vor dem inflationären Sexuell-Exibitionistischen nicht halt. Der guten Stimmung im vollbesetzten Parkett schadet das nicht: nach jeder musikalischen Aktion langer enthusiastischer Szenenapplaus, gleichermaßen bei Jung und Alt. Die Schauspieler, welche von den gesungenen Ohrwürmern abgesehen keinen Text haben, überzeugen bei der professionell arrangierten Musik und erreichen durch körperliche Präsenz eine fesselnde Authentizität. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass noch in der allergrößten Schnulze ein Stück Wahrheit stecken kann.

(Steffen Kühn)

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