„Ab in den Wald”, ein Musical nach Stephen Sondheim (Steffen Kühn)

Stephen Sondheim:
„Into the woods“ – „Ab in den Wald“
Musical in zwei Akten
Buch von James Lapine, Deutsche Übersetzung Michael Kunze

Musikalische Leitung:Stephan König
Inszenierung:Jan-Richard Kehl
Bühne und Kostüme:Marlies Knobloch
Choreographie:Lynnda Curry
Produktionsleitung:Uta Ernst

Westsächsisches Sinfonieorchester

Hochschule für Musik und Theater Leipzig,
Premiere 18. 6. 04, 19.30 Uhr

„Aschenputtel und der leidenschaftliche Wolf“

Stephen Sondheim, 1930 in New York geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Komponisten und Texter des Broadway. 1957 begann er seine Karriere als Songwriter der „West Side Story“ von Leonard Bernstein. Schon in den 60er Jahren begann er eigene Musicals wie „A funny thing happened on the way to the Forum“ zu schreiben.

Im ersten Akt seines Stückes „Into the woods“ bedient er sich der Gebrüder Grimm. Aschenputtel möchte um alles in der Welt zum abendlichen Ball, Hans und seine Mutter sind verzweifelt ob der Milchlosigkeit ihrer Kuh, dann gibt es da die Bäckersleute, welche so gerne ein Kind haben möchten und letztlich Rotkäppchen bei ihrem bekannten Abenteuer im Wald auf dem Weg zur Großmutter. Zudem hat Sondheim eine neue Geschichte erfunden: Die Hexe, welche Rapunzel im Turm gefangen hält, verspricht den Bäckersleuten die Erfüllung ihres Kinderwunsches, wenn sie ihr innerhalb von drei Tagen eine Kuh so weiß wie Milch, Haar so gelb wie Korn, ein Mäntlein so rot wie Blut und einen goldenen Schuh bringen. Der Wald, in dem alsbald alle versuchen ihre Wünsche zu erfüllen, ist der Ort in dem sich die Figuren in amüsante Verwicklungen begeben. Eine reizvolle Montage all der jedem seit der Kindheit wohl vertrauten Stereotype der Grimmschen Märchenwelt.

Die sparsam, gleichwohl sehr wirkungsvoll mit hängenden verschieden transparenten Stoffbahnen ausgestattete Bühne und das engagierte Spiel der 22 Absolventen und Studenten, in zum Teil phantasievollen Kostümen tragen den Abend. Sondheim hat inhaltliche Pointen unmittelbar mit der musikalischen Struktur verknüpft. Eine schwierige Aufgabe für die Regie, welche es leider nur zum Teil schafft, sich aus diesem engen Korsett zu befreien. Eine sehr gute Szene mit dem Wolf, der sich in coolem Pelzmantel mehr für die weibliche Seite der Figuren interessiert und schließlich beim Beischlaf mit der Großmutter vom Rotkäppchen überrascht wird.

Fesselnd und schlüssig auch der wiederholte Versuch der Bäckersfrau, Aschenputtel einen goldenen Schuh abzujagen: Bäckersfrau: „Ich brauch den Schuh für mein Kind“, Aschenputtel: „Das macht keinen Sinn“, Bäckersfrau: „Vor einem Prinzen wegzulaufen auch nicht“. Das ist zugleich eine der wenigen Stellen, wo die Übersetzung es schafft, die ironischen Anspielungen des Originals exakt zu treffen. Meist holpert es mächtig und ohne die Leistung von Michael Kunze zu schmälern, ist es nicht einzusehen, warum auf die Originalsprache verzichtet wird. Zumal das Zusammenspiel von Sprechmelodie und Musik oft empfindlich leidet. Die Musik in Broadway Manier hat keine Berührungsängste. Ob polyphone Gesangspartien, klassische Harmonien oder eingängige Melodien, eine Unterscheidung von E- und U-Musik hat Sondheim nicht nötig. Stephan König und das Westsächsische Sinfonieorchester geben sich den ganzen Abend sehr zurückhaltend, vielleicht in Rücksicht auf die Entfaltungsmöglichkeiten der engagierten Sängerinnen und Sänger.

Nach dem ersten, für alle letztlich glücklich verlaufenen Akt, verlässt der zweite die reine Märchenebene und durchbricht die Eindimensionalität der Märchenfiguren. „Wie lebt es sich denn mit einem Prinzen?“ oder „Wie zieht man denn das so ersehnte Kind groß?“ sind Fragen, die in den bekannten Märchen nicht gestellt werden (dürfen!). Auf der anderen Seite nötigt die von Sondheim erfundene Bedrohung durch eine Riesin alle zu Entscheidungen jenseits der wohlvertrauten Muster von Gut und Böse. Die Rolle des Lüstlings übernimmt jetzt Rapunzels Prinz, der die anfangs ängstliche, später glücksselige Bäckersfrau verführt (am Ende beide im Duett: „Recht und Unrecht kann man im Wald nicht sehen“).

Natürlich hat das Stück noch andere (tiefere?) Dimensionen: Der Wald als Ort der Sehnsucht, des Irrationalen, die rote Kappe als Symbol von Erotik und Sexualität, Moral und Ordnung und nicht zuletzt die beliebte Schublade der bösen Schwiegermutter. Die Kunst aus all dem einen unterhaltsamen Abend zu machen, beherrscht Sondheim exzellent – auf amerikanische Art, versteht sich.

(Steffen Kühn)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.