Solers Oper „Una Cosa Rara” – eine Wiederentdeckung (Sebastian Schmideler)

Una cosa rara
Oper Leipzig, Kellertheater
6. Juli 2004

Frühklassisches Schäferstündchen
„Una cosa rara“ in der Reihe „Oper am Klavier“

„Una cosa rara“? Keiner kennt einen so „seltenen Fall“ in der Operngeschichte! Der Komponist (ein gewisser Vicente Martín y Soler) ist so namenlos wie es nur noch moderne Lyriker sein können. Auch das Libretto zu seiner Musik bleibt trotz einiger witziger Szenen und ein paar origineller Arienverse „flach wie ein Trottoir“. Aber da es – leider – von Lorenzo Da Ponte stammt, genießt es musikalischen Denkmalschutz. Unglaublich: Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts war das verspielte Rokoko-Pastorell ein so viel geliebtes Repertoirestück, dass sogar eine eigene „Cosa rara“-Mode aufkam. Selbst Mozarts „Le Nozze di Figaro“ vermochte es einstmals himmelweit an Popularität zu überflügeln. – Grund genug, dieses heute zu recht vergessene Schäferstündchen der Frühklassik, das mittlerweile ganz und gar von Beaumarchais Schatten verdeckt wird, in der Reihe „Oper am Klavier“ für den erlesenen kleinen Zirkel gewitzter Leipziger Opernfreunde zu erschließen.

Die Handlung ist kompliziert und doch ganz einfach. Die sich chiliastisch kreuzenden Personenkonstellationen sind in einem verzwickt aufgebauten Reigen figuriert: das Bauernmädchen Lilla liebt den Schäfer Lubino, mit dem sie bereits verlobt ist. Von ihrem streitsüchtigen Bruder Tita, der die ebenso streitlustige Ghita – die Schwester des Bürgermeisters Lisargo Podesta – nehmen soll, ist Lilla aber eben jenem spröden Bürgermeister Podesta versprochen worden. In ihrer Not flüchtet sich Lilla zu Königin Isabella, die während einer Jagd Station im Dorf Lillas macht. Isabella verweist sie auf ihren Sohn, den Prinzen Giovanni, und den intriganten Höfling Corrado, die sich aber – was für ein Zufall – auf der Stelle in Lilla verlieben, anstatt ihr zu helfen. Nun fällt zwar die Königin einen Richterspruch, der Lilla und Lubino und Tita und Ghita durch das Ehebündnis vereinen soll, aber Prinz Giovanni und Corrado steigen Lilla und Ghita als Bauern verkleidet im Dunkel der Nacht nach und wecken so die Eifersucht der misstrauischen Ehemänner Lubino und Tita, die sich am nächsten Morgen bei Königin Isabella über dieses ungehörige Betragen beschweren. Der Höfling Corrado ist am Ende der betrogene Betrüger, denn er muss alle Schuld auf sich nehmen, um den Prinzen Giovanni nicht vor aller Welt moralisch zu diskreditieren. – So reißt Isabella ihm stande pede seinen prächtigen Verdienst-Orden ab und verweist ihn des Landes . – Das war alles.

Musikalisch hat dieser sehr „seltene Fall“ eines „Dramma giocoso“ allerdings etwas mehr zu bieten. Denn Soler hatte durchaus ein Händchen für eindringliche Melodien im Stil der Opera seria, vermag die pastorale Idylle rührend nachzuzeichnen, zeigt den eifersüchtigen Prinzen in feurigen Rhythmen im Zorn, lässt Tita und Ghita im con brio streiten, den aufgeblasenen Buffo-Charakter Corrado in musikalisch selbstverliebter Eitelkeit possieren oder komponiert würdevolle Staatsarien für Königin Isabella. Originell und einfallsreich gibt er jeder der im Libretto blass erscheinenden Figuren bereits eine charakteristische musikalische Eigenart. Besonders gelungen sind außerdem seine schwungvoll und polyphon verwobenen Sextette.

Die musikalisch farbigen Charaktere treffen in Leipzig auf ebenbürtige Interpreten. Hervorzuheben: Hendrikje Wangemann als streitsüchtige Intrigantin Ghita, die mit einer technischen Treffsicherheit beeindruckte, die durch das reife schauspielerische Talent aufs beste ergänzt wurde, auch wenn ihre Stimme nicht immer so wollte, wie man es ihr wünschte. Jürgen Kurth als Lubino hielt sich tapfer, noch immer sicher in breiten und weit ausholenden Passagen. Kathrin Göring passte sich in die Hosenrolle des Giovanni gut ein, verschleifte zwar hier und da noch Koloraturen, leistete insgesamt aber Beachtenswertes. Eine brav geschauspielerte, stimmlich aber überaus versierte Königin Isabella gab Eun Yee You. Klar und kraftvoll ragte die unverbraucht wirkende Stimme von Thomas Oertel-Gormanns als feiler Schmeichler Podestas hervor: die darstellerische Leistung wirkte jedoch da und dort etwas überzogen. Einen rundum zufriedenstellenden Liebhaber Tita legte der als Figaro in Leipzig sattsam erprobte Tuomas Pursio auf die Bühne, energisch und sicher intoniert, ohne allen stimmlichen Zinnober. Als Landmädchen Lilla entzückte Marika Schönberg besonders durch ihr hinreißendes Lispeln, wenn auch die deutschsprachige Phonetik in den Zwischendialogen noch einiger sprecherzieherischer Winke bedurft hätte. Mit subtilem und gespreizten Witz miemte Martin Petzold als komischer Alter den Höfling Corrado auf unvergleichliche Weise.

Gelungen war auch diesmal die vor allem durch einfallsreiche Requisiten erfrischend angenehm wirkende szenische Einrichtung Gundula Nowacks. Etwas trocken, schwerfällig und missverständlich sind indessen die erklärenden Zwischentexte zum Handlungsverlauf geraten. Hier wäre – vor allem angesichts eines solchen unmöglichen Librettos – etwas mehr Schwung, Sprachwitz und ein dezentes Quentchen überlegene Ironie durchaus wünschenswert gewesen.

Wie immer bekam Hans-Georg Kluge als singendes Tasten-Orchester sein verdientes Pausenfüller-Bier („So viel Liebe macht durstig“). Sein dynamisch sensibel akzentuiertes Spiel am Klavier wurde dadurch aber selbstverständlich nicht im mindesten beeinträchtigt. Wie Kluge die Intention der Partitur wohlerwogen und beinah orchestral imitierte – das hatte unbestechliche Eigendynamik und war unverkennbares Zeichen eines empathischen Gespürs für die Vorlage. – Schön, dass es noch so viel Begeisterungsfähigkeit gibt. Das Publikum jedenfalls nahm alles dankbar an.

(Sebastian Schmideler)

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