Back to the Roots

Musiktherapie im Park: Jazz-, Pop-, Rhythm and Blues-Sänger Al Jarreau in Leipzig

Zurück zu den Wurzeln im doppelten Sinne.
Die 1998 groß angekündigte Rückkehr Jarreaus zum Jazz erfolgt nun, nach sechs Jahren und zwei CDs, die diesem Versprechen noch nicht vollständig Rechnung trugen, mit dem neuen Album Accentuate The Positive. Aber nicht nur musikalisch findet Al Jarreau dorthin zurück, wo er 1965 begann (Live-Einspielung von Jazz-Standards mit einem Jazz-Quartett), sondern – indirekt – auch zu seinem 1975 endgültig zu Gunsten einer professionellen Musikerkarriere aufgegebenen Beruf des Sozialarbeiters. Aus sich allein heraus, oder vielleicht noch aus natürlichen Quellen, Kraft gewinnen, das Positive betonen, nicht das Negative die Oberhand gewinnen lassen, sind als Botschaft Hauptbestandteil des sonntagabendlichen Konzerts.

Und positiv ist es schon, wie Al Jarreau nur mit sich, nur aus sich selbst heraus Musik kreiert. Sein großes Markenzeichen, durch Scat-Gesang moderne wie klassische Grooves aufzubauen, oder gar eine ganze Band zu simulieren, stehen unmissverständlich im Mittelpunkt dieses musiktherapeutischen Abends. Bereichernd sind vor allem kleine, oft Deutsch(land) bezogene Zwischeneinlagen. Wie etwa die phonologische, an Kurt Schwitters Ursonate erinnernde Grundübung, das schöne deutsche Zahlwort Fünf sukzessive in seine einzelnen Phonomen zu zerlegen: „Pf-(ü)nh-pf“.

Mit genau diesem ur-jazzigen Element des Scattens hielt Jarreau nach Meinung der Fans und Kritiker zu lange hinter dem Berg, vor allem während seines (zu) Hit-lastigen 80er Jahre-Schaffens, das von Fernsehserien-Songs und Radio-tauglichen Duetten dominiert wurde. Und genau diese Phase seines Wirkens wurde bei der Leipziger Live-Performance konsequenterweise komplett ignoriert, zählt man mal Breaking Away (1981) noch nicht dazu. Keine obsoleten DX-7-Monster wie L is for Lover oder Moonlighting, sondern Songs aus Jarreaus Anfangszeit und seinen letzten drei Alben füllten die Abendluft des Clara-Zetkin-Parks.

So beginnt das Programm schon mit einem Accapella-Intro zu Troups-Songlegende Route 66, zu der sich im Laufe des Abends zeitlose Klassiker wie Take Five oder Groovin‘ High dazugesellen. Nach einem recht energetischen, aber auch künstlich forciert wirkenden Medleyauftakt räumt der ständig mit dem Publikum kommunizierende Sänger dem Song Wait for the magic besonders viel Platz zum ‚Atmen‘ ein. Ein willkommener, stellvertretender Kontrapunkt zur sms-schreibend hetzenden Gesellschaft des neuen Jahrtausends.

All das, was Al Jarreau 1976 mit dem schon legendären Konzert im Hamburger Onkel Pö schlagartig (nicht nur) in Deutschland berühmt machte, die Lautmalerei, der Vollkörpergesang, das introvertierte Ausleben jedes einzelnen Tons, das Breakdance/Robot vorankündigende Hand- und Fingerspiel, das Geschichtenerzählen, diese kraftvolle wie elegante Vereinigung von harmonischer Gardine und rhythmischem Teppich, die Beherrschung und Bestimmung des Tempos, das Auseinanderziehen und Verdichten, das Betonen von Strukturen und das Improvisieren, die simultane Fähigkeit, hier den Bebop zu zelebrieren, dort das Balladeske wirken zu lassen, all das plus einiges an Lebenserfahrung ist an diesem Sonntagabend im Jahre 2004 noch einmal live mit zu erleben.

Dazu trägt auch die Verlässlichkeit auf seine seit fünf Jahren nur punktuell geänderte Begleitband um Bassist Chris Walker bei, die mit der lupenreinen Technik und einfallsreichen Rhythmik des Sangesakrobaten mithalten kann, und gleichzeitig die selten auftretenden Präsenzlücken des Stars nutzt, um ihrerseits musikalisch positive Akzente zu setzen. So bekommt vor allem Saxofonist und Keyboarder Joe Turano schon einmal das ungeteilte Spotlight für seine Sax-Soli zugesprochen. Zwar wurde das neue Album Accentuate The Positive mit erfahrenen Sessionmusikern wie dem Gitarristen Anthony Wilson und dem Schlagzeuger Peter Erskine eingespielt, trotzdem bildet es auch mit diesem unterschiedlichen Line-up den Hauptschwerpunkt des Live-Programms.

Ob das Alter, der Hüftschaden oder der Umstand, dass die Musiker und Techniker am nächsten Tag in Bonn sein müssen, der Grund ist, warum das Konzert in seiner Nettospielzeit die Neunzig-Minuten-Marke nicht überbietet, kann nur spekuliert werden. Jedoch scheint die innere Dramaturgie des Live-Sets aufzugehen. So stehen bei den ultimativen Zugaben (u.a. Spain) nicht nur die allerletzten Konzertbesucher von ihrem simplen Plastik-Gartengestühl auf, sondern wird beim zeitgleich als Rausschmeißer und Anheizer fungierenden Mas Que Nada, Jorge Ben Jors vom Kommerz (Nike, Klingelton) beinahe plattgetretene Hymne, sogar mitgesungen, respektive versucht mitzusingen.

Ebenso wie Al Jarreaus dekadenlanger Ausflug in den Mainstream, so mögen bei diesem Konzert am ersten Tag des Augusts vielleicht die leicht gehetzt wirkenden Medleys oder die oft den Musikfluss brechenden Zwischenschelmereien nicht auf komplette Gegenliebe gestoßen sein. Allerdings stand niemals das Ausnahmekönnen des Sängers und Entertainers in Frage oder gar seine Zuneigung zu und Verneigung vor seinem Songmaterial, den diesem innewohnenden Geschichten, der sie zum Leben erweckenden Musik sowie seiner Freude am Geben und Nehmen im Zusammenspiel mit dem Publikum.

Was ganz allgemein als „positiv“ bezeichnet werden kann, und laut Al Jarreau dementsprechend betont und hervorgehoben wurde, ist strittig, da subjektiv. Dass aber die Dinge, wie sie Jarreau an diesem Sommerabend darbot, das Prädikat positiv verdienten, darüber waren sich die vielen, sichtlich musiktherapierten Zuhörer und Zuschauer an diesem Abend einig – und verschwanden mit dementsprechenden Plus-Zeichen in den Augen in das vornächtliche Dunkel des Clara-Zetkin-Parks.

Al Jarreau

01.08.04,Parkbühne, Clara-Zetkin-Park


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