Goldene und Silberne Tauben

Die Preisträgerfilme des 47. Dokfestivals Leipzig


Touch the Sound

Deutschland / Großbritannien 2004, Thomas Riedelsheimer, 99 min

Evelyn Glennie (www.evelyn.co.uk) ist eine aus Schottland stammende Musikerin, die sich vor allem den Percussions widmet. Teller tun es dabei ebenso wie Metallgegenstände inklusive Schrott. Sie vermag daraus eine avantgardistische Musik zu zaubern, die zu den Räumen, in denen sie verhallt, in exakter Beziehung steht. Die Central Station in New York ist dabei ebenso Konzerthalle wie ein japanisches Restaurant oder eine Kölner Fabrikhalle. Die besondere Beziehung Glennies zu den Räumen, in denen sie ihre Musik alleine oder mit Kollegen wie dem Musiker Fred Frith macht, rührt daher, dass sie die Töne eher als Schallwellen wahrnimmt denn hört. Der Film spürt diesem bestimmten Hörvermögen nach und wirft z. B. die Frage auf, wieviel Rhythmus in der Luft liegt, wenn man durch eine Markthalle schreitet, in der verschiedene Angebote lautstark angepriesen werden. Der Film erhielt die Goldene Taube als Dokumentarfilm über 45 min. und startet bereits am 4. November in den deutschen Kinos. Max Bornefeld-Ettmann

Am seidenen Faden

Deutschland 2004, Katarina Peters, 108 min

Der große Gewinner des diesjährigen 47. Dokumentarfilmfestivals war ohne Frage der Film Am seidenen Faden von Katharina Peters. Nicht weniger als vier Preise konnten mit nach Hause genommen werden, ein großer Erfolg für ein sehr intimes Plädoyer an die Kraft der Liebe und die Verbundenheit zweier Menschen, welche gezwungen werden, äußere Widerstände zu einem Bestandteil ihres Lebens zu machen und sich in neuen Rollen, in neuen Grenzbereichen wiederzufinden. Es ist die Konstruktion eines leidenschaftlichen Lebens, welches sich vor der Kamera, mit der Kamera zusammen zu einem Film verbindet, der sich dem Zuschauer als eine Art Tagebuch offenbart, in dem die Grenze zwischen Regisseur und direktem Teilhaber gänzlich verschwindet. Das, worauf uns das Leben einfach nicht vorbereitet, passiert: Ein Mensch betritt die Schwelle zum Tod und kehrt wieder zurück. Boris Baberkoff, der Ehemann Katharina Peters erleidet einen Schlaganfall, dies so plötzlich, so unerwartet wie wohl alle tragischen Geschichten beginnen. Doch soll hier ein anderer Weg gegangen werden, ein Weg, der zeigt, was Willensstärke bedeutet und wie wichtig ein Mensch an der eigenen Seite ist. Denn den Pessimismus der Ärzte will Boris nicht teilen, nach ihnen wird er ab jetzt ans Bett gefesselt nur noch mit dem Blinzeln der Augen kommunizieren können. Der Kampf beginnt; die dem Menschen gegebene Materie, der Körper, soll, muss wieder lernen, zu funktionieren, um teilzuhaben am Leben. Jeder Schritt wird so zu einem kleinen Höhepunkt, der sich konzentriert den Zweien und dem Zuschauer offenbart und oft tief berührt. Die Beziehung steht dabei im Vordergrund, die Krankheit wird zu einem Teil dessen, was sie nun ausmachen darf, ohne bestimmend zu werden. Dies geschieht nicht ohne Zweifel, ohne Ängste und Widerwillen; beide stoßen an neue Grenzen und lernen andere Maßstäbe zu setzten. Die Kamera war die ganze Zeit dabei, anfangs um der Nähe, der erschreckenden Situation ein bisschen Distanz abzugewinnen, später mit der wirklichen Absicht, einen Film entstehen zu lassen. Ohne Vorwarnung hat so das Leben selbst begonnen, eine filmreife Geschichte zu erzählen, und dies wurde von der Ökumenischen Jury, der FIPRESCI- Jury ( Fédération Internationale de la Presse Cinématographique), der Jugendjury und letztlich von der Festival eigenen Internationalen Jury mit der Silbernen Taube gewürdigt. Und auch wenn dies ein großer Erfolg für beide ist, so war es doch ein noch viel größerer, dass sich Boris Baberkoff an diesem Abend vor das Leipziger Publikum setzen und auf seinem Cello spielen konnte. Ein schöner Abschluss, wenn auch nicht auf Film gebannt, und bestimmt der Höhepunkt des Abends. Maike Schmidt

And Thereafter

USA / Republik Korea 2003, Hosup Lee, 56 min

And Thereafter ist die Geschichte einer Frau, die im Koreakrieg ihre Familie verloren hat und als eine von rund 10.000 Südkoreanerinnen nach Kriegsende einem US-Soldaten in sein Heimatland folgte, um Hunger und Armut zu entkommen. Der Filmemacher Hosup Lee trifft die heute 76jährige Young-Ja Wike in ihrem „neuen“ Zuhause im Süden von New Yersey, wo sie auf den ersten Blick ein ganz beschauliches und zufriedenes Leben führt. Je länger Young-Ja Wike jedoch von ihrem Leben erzählt und je mehr Einblick sie in ihr Schicksal gewährt, desto deutlicher wird, dass sie in all den Jahren in den USA fremd geblieben ist und bis auf den heutigen Tag Ausgrenzung und Herablassung sowohl von Amerikanern als auch von Koreanern erfährt. Die Ehe mit ihrem Mann ist unglücklich; fast beiläufig erzählt sie, dass ihr Mann sie im Vietnamkrieg betrogen hat und diese Frau ebenfalls mit in die USA bringen wollte. Und ebenso beiläufig spricht sie über den Missbrauch an ihrer gemeinsamen Tochter. Mehr noch als diese Schicksalsschläge bedrücken die unglaubliche Kälte mit der sie von den eigenen Kindern behandelt wird und der Umgangston, der in diesem Haus herrscht. Es wirkt, als ob die Kinder ihr die traumatische Vergangenheit nicht verzeihen können und die Mutter dafür verantwortlich machen, dass ihr eigenes Leben nicht sonderlich erfolgreich verläuft.
Es ist ein Glück für den Film, dass Hosup sich nicht durch aufdringliche Fragen einmischt oder durch beobachtenden Kommentar eine Wertung vornimmt. Erst durch diese Art, sich des Schicksals dieser Frau zu nähern, werden die Tragik und das Ausmaß dieses Unglücks spürbar und man kann sich der Frage nicht erwehren wie Young-Ja Wike es geschafft hat, dieses Leben zu überstehen. In Kontrast zu den Szenen in bedrückender Atmosphäre innerhalb der Familie sehen wir ihr dabei zu, wie sie in ihrem Garten hinter dem Haus mit geradezu stoischer Ruhe und gleichzeitiger Leidenschaft roten Pfeffer anbaut, der offensichtlich einzig haltgebenden Aufgabe ihres Alltages. Mehr noch als das Ergebnis scheint die konstante Beschäftigung mit den roten Schoten unendlich wichtig für Young-Ja Wike zu sein, es ist etwas, womit nur sie zu tun hat. Ein kleiner friedlicher Kosmos, inmitten unwirtlicher Umstände. Zusammen mit Am seidenen Faden erhielt der Film die Silberne Taube als Dokumentarfilm über 45 min. Lina Dinkla

Über die Grenze – Fünf Ansichten von Nachbarn

Österreich 2004, Pawel Lozinski, Jan Gogola, Peter Kerekes, Robert Lakatos, Biljana Cakic-Veselic, 131 min

Ein bisschen gemogelt war die Preisvergabe ja schon. Die Goldene Taube für den besten Dokumentarfilm bis 45 min. ging an Über die Grenze, eine 131-minütige „Reihe von Kurzfilmen“, von denen einige, allerdings nicht jeder den Preis für sich allein verdient hätten. Fraglos ist dieses europäische Gemeinschaftsprojekt, das „fünf Ansichten von Nachbarn“ renommierter Filmemacher aus fünf neuen EU-Mitgliedsstaaten vereint, in seiner Ganzheit ein Paradebeispiel europäischer Selbstreflexion. Wo sind eigentlich die Grenzen? Wie hatten sie einstmals ausgesehen? Und sind sie heute wirklich verschwunden, wo deren Auflösung von „denen da oben“ besiegelt wurde? In den überwiegend komödiantischen Episoden aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien entpuppen sich Grenzen und Ansichten oftmals als Hirngespinster oder verschwimmen zumindest zu reinen Konstrukten – ob aus Erfahrungen in der Geschichte erwachsen oder von wechselnden Ideologien verordnet. Das Gegenteil jedoch, die neue Freiheit mit geöffneten Grenzen, wirkt nicht wesentlich vollkommener. Als der ungarische, stolz-bärtige Gipsy Lajos und sein Geschäftskumpel Lari mit ihrem Kleintransporter durch Wien umherirren, bekommt er zu spüren, dass sich eine Grenze manchmal schon allein in der Intoleranz der Mitmenschen manifestieren kann oder in einem gesichtslosen Ticketautomat. Ein aberwitziger Höhepunkt ist die Szene, als ein Bürgermeister des tschechischen kleinen Grenzorts versucht, die Prostitution herunterzuspielen, während im Hintergrund am Straßenrand eine leicht bekleidete Dame ihrer Tätigkeit nachgeht. Am signifikantesten tritt das Leben mit der Grenze aber in der letzten, der slowenischen Episode auf. Da erzählt der Fischer auf seinem Boot, wo auf dem Radar die alten und neuen Grenzen zu finden sind, und wo man seine Netze nicht mehr auswerfen darf, damit einen die Wasserschutzpolizei nicht aufgreift. Zu sehen ist aber weit und breit nichts anderes als das Meer. Ob Fische wissen, welche Nationalität sie haben? Durch den MDR-Preis wird der Film schon bald im Fernsehen zu sehen sein. Jörn Seidel

Mirnaja Žizn / Life in Peace

Russland / Schweiz 2004, Pavel Kostomarov, 45 min

In Life in Peace geht es um einen alten Tschetschenen, Sultan, der mit seinem erwachsenen Sohn, Apti, nach Russland geflohen ist, nachdem seine Frau umgebracht worden ist und sein Haus zerstört wurde. In einer heruntergekommenen Kolchose (russische Abkürzung für kollektiwnoje chosjaistwo: „Kollektivwirtschaft“) leben sie nun ein Leben in Frieden. In langen, statischen Einstellungen – die den Eindruck hinterlassen, als wäre kein Dokumentarist, nur eine Überwachungskamera am Werk – zeichnet der Film nach, wie die beiden Männer mit ihren zerfurchten Gesichtern und ihren geschundenen Händen hart daran arbeiten, nicht nur die Kolchose auf Vordermann zu bringen, sondern auch mit sich, ihren Erinnerungen und einem arbeitsreichen Leben weiterhin reich an Entbehrungen klarzukommen. Die russischen Arbeitskollegen – alle wohlgenährt und mit ganz anderen Problemen befasst – machen es ihnen dabei nicht gerade leicht. Der Film erhielt die Silberne Taube als Dokumentarfilm bis 45 min. Max Bornefeld-Ettmann

Ceský Sen / Czech Dream

Tschechien 2004, Filip Remunda, Vít Klusák, 83 min

Nun mal ganz ehrlich. Wie sehr lassen wir uns von einer hübschen Werbung, ein paar witzigen Slogans, knalligen Farben und billigen Angeboten locken? So sehr, dass wir an einem Samstagmorgen vor die Tore unserer Stadt fahren, um der Eröffnung eines schicken neuen Supermarktes beizuwohnen? So sehr, dass wir auch offensichtliche Absurditäten übersehen und Tausende von Metern über kargen Rasen einem riesigen Banner entgegenlaufen, hinter dem sich nichts weiter verbirgt, als die eigene Manipulierbarkeit? So geschehen im März 2003 in Prag. Die beiden tschechischen Filmemacher Filip Remunda und Vít Klusák erproben die menschliche Schwäche für kleine Preise und treten eine Lawine los. Sie wollen einen Supermarkt eröffnen, allerdings nur auf den Reklametafeln, auf Broschüren, in der Fernsehwerbung. An alles wurde gedacht, eine Offenbarung für die Marketingbranche. Auch vor sich selbst machten sie nicht halt, neuer Haarschnitt, teure Anzüge und ein geübtes Lächeln – die perfekte Seriosität am eigenen Leib, dahinter nichts als leere Versprechungen und Erweckung falscher Erwartungen. So wollten es jedenfalls einige der Menschen sehen…- wenn es schon hinter dem Banner mit dem riesigen Wort Ceský Sen (Tschechischer Traum) nichts zu sehen gab, außer ödes Land. Für viele lag hier ein Vergleich mit dem von Tschechien angestrebten EU-Beitritt nahe, welcher sich vielleicht ähnlich zutragen könnte. Viele Erwartungen, keine Erfüllung, leere Hände. Eine schöne Parabel, welche sich hier offenbart, denn auch wenn es keinen direkten Bezug haben muss, so bleibt doch ein prinzipieller bestehen, welcher nicht außer Acht gelassen werden darf. So blieb der wirklich ansehnliche, erfrischend innovative Film zwar von der Jury unbeachtet, von uns aber nicht; denn manchmal steht hinter nicht erfüllten Erwartungen ganz Nützliches, das einem in pointierter Form neue Denkanstöße bieten kann oder aber – und das ist auch nicht zu verachten- kommt man bei solchen Aktionen, mal wieder ins Grüne und an die frische Luft. Und… einige von uns hätten sich dort draußen vor den Toren Prags bestimmt getroffen. Nun seien wir doch mal ehrlich. Maike Schmidt

Berlin Beirut

Deutschland 2003, Myrna Maakaron, 23 min


In Berlin Beirut geht es um einen Vergleich der beiden vormalig geteilten Städte: Berliner Mauer gegen Beiruter Grüne Linie. Aus geschickt gewählten Perspektiven weisen die beiden Städte erstaunliche Ähnlichkeiten auf. Während die Geschichte in Berlin beginnt, ist erst nicht ganz klar, wann man jetzt um die Straßenecke gebogen ist und auf einmal in Beirut stand. Aber nicht nur Äußerlichkeiten weisen daraufhin, dass sich in beiden Städten in Krieg und Nachkrieg Parallelen aufzeigen lassen. Beispielsweise wiesen die Einzelteile propagandistisch Stereotype der Andersartigkeit an ihrem Gegenüber nach, von denen nach der Wiedervereinigung nicht viel geblieben ist. Max Bornefeld-Ettmann


Invisible – Illegal in Europa

Deutschland 2004, Andreas Voigt, 88 min


In Invisible – Illegal in Europa wird an Hand von Einzelschicksalen nachgezeichnet, zu welchem Preis die Oase so bleibt, wie sie ist. In die Festung Europa kommt man nur unter großen Anstrengungen, wenn man nicht in politisch definierte Kriterien eingeordnet werden kann. Ein Algerier beispielsweise, der im Ringen um die Etablierung eines Gottesstaates Algerien dem (para-)militärischen Kampf auf Regierungsseite als Soldat diente und dabei Rebellengruppen infiltrierte, sah seine Flucht nach Europa als einzige Chance, nicht Opfer von Rachegelüsten zu werden. Ein deutsches Gericht nahm seine Erklärung nicht als Asylgrund an. Können wir aber sicher sein, dass sich die Verhältnisse in Algerien so weit geändert haben, dass dieser Mann dorthin zurückgeschickt werden darf? Wenn er statt dessen die Illegalität in Deutschland – in Leipzig – wählt, einigermaßen über Wasser gehalten durch Kurzzeitjobs, wie ist es dann wirklich um ihn bestellt? Max Bornefeld-Ettmann


Bei Tempi / Good Times

Italien 2004, Alessandro Cassigoli, Dalia Castel, 31 min


In Good Times geht es um Abu Dis – einen Orsteil Jerusalems. Alessandro Cassigoli und Dalia Castel haben sich zwei Monate an einen Straßenkontrollpunkt der israelischen Armee gestellt und aufgenommen, wie das Leben weiterging, nachdem der Stadtteil und „the road to everywhere“ von einer zwei Meter hohen Betonmauer von Jerusalem abgetrennt wurde. Die Mauer war weder besonders hoch noch unüberwindbar. Die über Monate dort eingesetzten israelischen Soldaten gingen je nach Tagesform ihrer Aufgabe nach, Personenkontrollen durchzuführen und Mauerpassanten vom Klettern abzuhalten. Wirklich durchsetzen sollten sie die Unterbindung des unbequemen Personenverkehrs nicht. Die offensichtlich angestrebte Demütigung der Bevölkerung – counter terrorism der besonderen Art – missfiel den einfachen Soldaten, die sich zwischenzeitlich mit den Anwohnern ins Benehmen gesetzt und angefreundet hatten. Dann kam die richtige Mauer. Von zwei auf acht Meter. Selbstverständlich Kamera überwacht. „Welcome to Ghetto Abu Dis“ wurde daraufgesprüht. Max Bornefeld-Ettmann


The Ritchie Boys

Am 01. Oktober 1998 wurde das Camp Albert C. Ritchie (kurz Camp Ritchie) am Fuße der Blue Ridge Mountains in Maryland/USA von der US Army außer Dienst gestellt. Bis dahin hatte dieses wie ein Kurort anmutende Gelände verschiedene Verwendungen: Während der 1920er wurde hier die Nationalgarde trainiert, während des zweiten Weltkrieges richtete hier die US Army ihr zentrales Military Intelligence Training Center ein, und in den folgenden Jahren wurde hier die Gesamtheit des Personals aus dem Bereich „Counter Intelligence“ (damals „Abwehr“) ausgebildet. Etwa 10.000 Soldaten durchliefen verschiedene Lehrgänge – unter anderem Psychologische Kriegsführung. Hans Habe beschreibt es in seinem Buch „Im Jahre Null“ so: „Man lernte Tag und Nacht: Kundschafterdienst hinter den Linien, Kriegsgefangenenverhör, Lesen von Flugaufnahmen, Gegenspionage, Völkerkunde, psychologische Kriegführung, Nachrichtenanalyse. Oberstleutnants drückten die Schulbank neben gemeinen Soldaten. Die Tagesnachrichten, die während der Mahlzeiten in der Kantine durch einen Lautsprecher verkündet wurden, ertönten in fünfzehn Sprachen.“ In einer Kapelle fanden gemäß der religiösen Durchmischung des Personals regelmäßig sowohl protestantische, katholische wie auch jüdische Gottesdienste statt. Viele derjenigen, aus denen dann die Ritchie Boys wurden, waren Emigranten. Für viele Aufgaben auf dem europäischen Kriegsschauplatz waren solche aus deutschsprachigen Ländern stammende und in ihrer Heimat verfolgte Ritchie Boys perfekt geeignet. Ihre Motivation und Qualifikation unterschied sie fundamental von „native Americans“. Sie waren mit Sprache, Kultur und Vorstellungen des Feindes von Kindesbeinen an vertraut. In Camp Ritchie erlangten sie jene Zusatzqualifikationen, die ihren Einsatz später um so effektiver machen sollte. Christian Bauer hat Ende der 1980er Jahre die damals noch lebenden Ritchie Boys ausfindig gemacht und einen Film vorbereitet, den er aber erst jetzt durch die Unterstützung von WDR, MDR und BR realisieren konnte. Zwischenzeitlich waren allerdings viele der Protagonisten verstorben. Immerhin konnte Bauer mit zwanzig noch lebenden Ritchie Boys Interviews führen, von denen zehn im Film zu Wort kommen. Sie sind Veteranen der besonderen Art – Bauer nennt sie Individualisten -, die nach dem Zweiten Weltkrieg z. T. ganz erstaunliche Karrieren in verschiedensten Organisationen und Institutionen gemacht haben. Ihr Blick auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges ist besonders reflektiert und bereichernd. Und dass einige ihrer Geschichten über die Zeit „eleganter“ (Christian Bauer) geworden sind, tut der Sache keinen Abbruch. Einige spannende Teile der Interviews, die keinen Eingang in den Film gefunden haben, werden hoffentlich durch das Buch, das im nächsten Jahr erscheint, das Bild erweitern. Max Bornefeld-Ettmann

Deutschland / Kanada 2004, Christian Bauer, 93 min



Alle Preisträger 2004 im Überblick

Dem ehemaligen Festivaldirektor Fred Gehler verleiht das Festival eine Goldene Taube ehrenhalber für sein Lebenswerk.

Die Internationale Jury für Dokumentarfilm vergibt für Dokumentarfilme und -videos / Langmetrage (über 45 Min.)eine Goldene Taube, gestiftet von der TELEPOOL, in Verbindung mit 10.000 Euro an den Film Touch the Sound von Thomas Riedelsheimer (Deutschland / Großbritannien) + eine Silberne Taube in Verbindung mit 3.000 Euro ex aequo an die Filme Am seidenen Faden Katarina Peters (Deutschland) und And Thereafter von Hosup Lee (USA / Republik Korea).

Die Internationale Jury für Dokumentarfilm vergibt für Dokumentarfilme und -videos / Kurzmetrage (bis 45 Min.) eine Goldene Taube in Verbindung mit 3.000 Euro an eine Serie von Kurzfilmen an Über die Grenze – Fünf Ansichten von Nachbarn von Pawel Lozinski, Jan Gogola, Peter Kerekes, Robert Lakatos und Biljana Cakic-Veselic (Österreich) und eine Silberne Taube in Verbindung mit 2.000 Euro an den Film Mirnaja Zizn (Life in Peace) von Pavel Kostomarov und Antoine Cattin (Russland / Schweiz).

Die Internationale Jury für Dokumentarfilm vergibt zum ersten Mal für einen herausragenden dokumentarischen Nachwuchsfilm die Talent-Taube der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig in Verbindung mit 10.000 Euro an den Film Jerusalem My Love von Elskede Jeppe Ronde (Dänemark). Der Preis dient der Anschubfinanzierung für das nächste Filmprojekt.
Die Deutsche Jury für Dokumentarfilm vergibt zum ersten Mal für Dokumentarfilme und -videos den Discovery Channel Filmpreis in Verbindung mit 10.000 Euro an den Film Berlin Beirut von Myrna Maakaron (Deutschland).

Die Deutsche Jury für Dokumentarfilm vergibt zum ersten Mal für Dokumentarfilme und -videos den European DocuZone Award in Verbindung mit dem Kinoverleih des Films an Invisible – Illegal in Europa von Andreas Voigt (Deutschland).

Die Deutsche Jury für Dokumentarfilm spricht zwei Lobende Erwähnungen an zwei Filme aus, die sich auf humorvolle und unterhaltsame Weise mit aktuellen deutschen Themen auseinandersetzen. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert von Claudia Indenhock (Deutschland) und Am Arsch der Welt von Claus Strigel (Deutschland).
Die Internationale Jury für Animationsfilm vergibt für Animationsfilme und -videos eine Goldene Taube, gestiftet von MotionWorks, in Verbindung mit 3.000 Euro an den Film Ryan von Chris Landreth (Kanada) + eine Silberne Taube in Verbindung mit 2.000 ? an den Film Son of Satan von JJ Villard (USA).

Die Internationale Jury für Animationsfilm spricht eine Lobende Erwähnung aus für den Film Allerleirauh von Anja Struck (Deutschland) + eine Lobende Erwähnung aus für den Film Accordeon von Michele Cournoyer (Kanada).

Der MDR (Mitteldeutscher Rundfunk) vergibt für einen herausragenden osteuropäischen Dokumentarfilm den MDR-Film-Preis in Verbindung mit 3.000 Euro an den Film Über die Grenze – Fünf Ansichten von Nachbarn von Pawel Lozinski, Jan Gogola, Peter Kerekes, Robert Lakatos und Biljana Cakic-Veselic (Österreich).

Die Jury der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vergibt ihren Preis in Verbindung mit 1.500 ? an den Film Bei Tempi von Alessandro Cassigoli und Dalia Castel (Italien).

Die Ökumenische Jury vergibt den Preis der Ökumenischen Jury an den Film Am seidenen Faden von Katarina Peters (Deutschland).

Die FIPRESCI-Jury (Federation Internationale de la Presse Cinématographique) vergibt den Preis der Fédération Internationale de la Presse Cinématographique an den Film Am seidenen Faden von Katarina Peters (Deutschland).

Die Leipziger Jugendjury vergibt den Preis der Jugendjury der Filmschule Leipzig e.V. an den Film Am seidenen Faden von Katarina Peters (Deutschland).

Durch Auszählung von Publikumsstimmen wurde die Vergabe des mephisto 97,6-Publikumspreises ermittelt für den Film Morir de Amor von Gil Alkabetz (Deutschland).


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