„Who the fuck is Stuckrad-Barre?“

Der 8. National Poetry Slam war gewohnt wortgewaltig

Auch diese Frage wurde am vergangenen Wochenende im Stuttgarter Theaterhaus dem Publikum ins Gesicht geschleudert. Der National Slam 2004 vereinigte nunmehr zum achten Mal die deutschsprachige Dichterszene, um im Einzel- und Teamwettbewerb um die Gunst des Publikums zu buhlen. Jeder Teilnehmer hatte sieben Minuten Zeit, um von der Bühne aus die Gäste in seinen Bann zu ziehen. Aufgenommen und akzeptiert wird beim Poetry Slam alles – solange es nicht langweilt. Da wird geschrieen, gesprungen, gestikuliert, geflüstert, getanzt, gerappt. In den Texten am Wochenende ging es um tagtägliche Absurditäten, Liebeskummer, den plötzlichen Tod eines Nacktmodells, den Weltfrieden oder um „Pro und contra Augustine“. Wer das Publikum mit offenen Mündern sehn wollte, bediente sich des Stegreifreimeins, wie Stuttgarts Rapikone Tobias Borke, der zum Schluss auf Platz zwei kam. Manch einer las seinen Text ab; Sebastian Krämer, Slamsieger des letzten Jahres, direkt vom Laptop. Die Jury, zusammengesetzt aus zwölf unparteiischen Zuschauern, entschied per Zahlentafeln über die Qualität der Beiträge: Eine Null für ein Gedicht, das nie hätte geschrieben werden sollen, eine Zehn für eins, was im Publikum einen simultanen Orgasmus auslöst. An den kam wohl Gabriel Vetter unter anderem mit seiner Hasstirade auf die Natur am nächsten ran; der Schweizer durfte letzten Endes die Trophäe für den Einzelwettkampf mit nach Hause nehmen. Den Teamwettbewerb gewann das Team Tübingen.

Der Poetry Slam kommt aus den Staaten, wo sich Ende der Achtziger Baustellen-Vorarbeiter Marc Smith über langweilige Literaturlesungen ärgerte. Daraufhin verband er kurzerhand eigene Poesie mit Rhythmus und Jazzclubatmosphäre, und siehe da: Anstelle diskreten Hüstelns gab es plötzlich Zwischenrufe und Schlagabtausch von der Bühne in den Saal und zurück. Dessen hätte man sich am Wochenende in Stuttgart etwas mehr gewünscht. „Net g´schimpft isch g´nug g´lobt“ sagt sich der Schwabe und hält sich größtenteils mit Kommentaren zurück, so auch im Theaterhaus. Zum Glück aber waren ganz Deutschland, die Schweiz und Österreich im Publikum vertreten, so dass wenigstens das ausverkaufte Finale am Sonntag abend dann doch noch zum wahren „slam“ wurde – einer Schlacht, in der schon mal die Luft brennt, weil sich die Publikumsgeister am dargebotenen Beitrag scheiden. Vorher, beim open mike (offenes Mikro) am Sonntag Nachmittag, durften auch unangemeldete Poeten antreten, was einen regelrechten Run auf die Bühne auslöste. Zwei Stunden waren einfach zu kurz: Gäste aus Frankreich und den USA wollten erhört werden, die 17-jährige im giftgrünen Faltenmini genauso wie Rentner Charly aus Köln.

Slam gibt´s in Stuttgart seit 1999. Im Dezember moderierte Timo Brunke in einem Abbruchgebäude am Uni-Gelände den ersten Stuttgarter Poetry Slam. Wenig später, im März 2000, gründete Timo zusammen mit Angelika Brunke in der Rosenau den ersten regelmäßigen Stuttgarter Slam. Seit 2002 finden außerdem Lyrik-Slams im Schaufenster-Mitte statt, deren Slammaster Tobias Borke ist. In Leipzig erfreut sich Poetry Slam seit drei Jahren wachsender Begeisterung: Im Juli 2001 begann das livelyriX-Team, regelmäßig Slams auf die Beine zu stellen, erst in der TriXom Sublounge, inzwischen in Ilses Erika. Dort sollte man sich ordentlich im Slammen üben, denn im nächsten Herbst ist der 9. National hier in der Stadt. Dann schneiden hoffentlich die regionalen Dichter besser ab: Christian Meyer aus Leipzig musste am Sonntag unter Buhrufen die Stuttgarter Slambühne verlassen. Bilanz des vergangenen Wochenendes: Sowohl hohe Teilnehmer- als auch Zuschauerzahlen, immer noch zu wenig Frauen auf der Bühne.

„Dein Becken kann Berge versetzen“. „Meine kleine Tochter: Einmal so´n kleiner Riese sein und nich´ so´n erwachsnes Zwergenschwein.“ Sätze, die hängen bleiben, zum Grinsen animieren, die Seele berühren. „Baby, du bist die beste Birke für einen schweißtreibenden Saunagang“ – auch so kann eine Liebeserklärung aussehen. Mehr davon eventuell am 7. November im Ilses Erika.

deNational Slam 2004
Theaterhaus Stuttgart, 29.10. – 31.10.2004

Infos zu Leipziger Veranstaltungen und Autoren auf www.livelyrix.de
National Slam in Stuttgart: www.slam2004.de

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