„Das Geheimnis der Frösche” und „Ma Mère” bei den Französischen Filmtagen (Anna Kalerie)

10. Französische Filmtage 2004, 17.-24.11.2004
Kommunales Kino in der naTo, Passage-Kinos,
Schaubühne Lindenfels, LUX-Kino (Halle)
www.französische-filmtage.deDas Geheimnis der Frösche
(La prophétie des grenouilles)
F 2004, 90 min.
Regie : Jacques-Rémy GirerdMa m?re
F 2003, 100 min.
Regie: Christophe Honoré

Bilder: Französiche FilmtageMonsieur Gott war nicht dabei
Das Geheimnis der Frösche

Um das Gute als Erstes zu nennen: Das Geheimnis der Frösche ist ein liebevoll animierter Kinderfilm, ein belebtes Gemälde mit aus der Klassik entlehnter Filmmusik und Figuren, die keinen Klischees erliegen. Ein kugelrunder Kapitän mit ellenlangem Bart, „Großvater“ genannt und seine jüngere, augenscheinlich aus Afrika stammende Frau, ihr Adoptivkind Tom und die kleine Nachbarstochter Lili, deren Eltern auf Safari gehen, um Krokodile für ihren Zoo zu fangen. So weit so schön, doch die Hoffnung, hier einen Zeichentrickfilm fernab von Hollywood zu sehen, wird bald enttäuscht. Die Dialoge klingen wie aus einem der vielen platten Comics und Kommerzhörspiele für Kinder, der vermeintlichen Alltagssprache sehr nah und der Abstraktion, die man auch von einer Kunst für Kinder erwarten darf, sehr fern. „Das gibt wieder Schimpfe“, „Das wär super“ und als krönendes Beispiel „Sie hat einen kleinen Pimmel“. Ohne Sprache hätte der Film einiges gewonnen, auch mit vielschichtiger gezeichneten Figuren, wie sie z.B. in dem ursprünglich italienischen Hörspiel „Radau an Bord“ dargestellt sind, bei dem die Tiere auf der Arche Noah tragikomisch menschliche Konflikte austragen und Gott als warmherziger Ratgeber den Kindern begreifbar wird – ein himmelweiter Unterschied.
Das titelgebende Geheimnis taucht samt der Frösche nur kurz auf und wird auch gleich gelüftet: Nach den Messungen der Frösche steht eine neue Sintflut bevor. Man vermutet eine ökologische Ursache der Katastrophe oder eine ethische – aber der Auslöser bleibt unklar, und überhaupt ist Gott bei dieser Arche-Noah-Neuauflage nicht mit von der Partie.

Die Tiere retten sich auf den Leuchtturm, der mit Hilfe eines Traktorreifens zu schwimmen beginnt. Mit dramatischer Musik und düsterer Stimmung geht es nun darum, Hoffnung zu wahren. Die Raubtiere werden zu Zwangsvegetariern, denn der an Nachkriegszeiten erinnernde Proviant besteht aus Kartoffeln, allerdings in Form von Pommes frites. Die Mägen der Fleischfresser rebellieren und schließlich kommt es, angeführt von der Schildkröte, die sich als falsche Freundin entpuppt, zu einer Meuterei, bei der sogar der gute Kapitän knallhart von Bord gestoßen und die Kinder gefesselt werden, um sie demnächst zu verspeisen, alles versetzt mit den Rachegelüsten der Schildkröte, die ihre Taschenlampe zur Superwaffe, ja Atombombe erklärt und alle Lebewesen auslöschen will (sic!) – ganz schön starker Tobak für einen Film ohne Altersbeschränkung, nicht wahr? Schwerwiegende Themen wie Liebe, Aufklärung, Tod der Eltern werden en passant und sprachlich inadäquat abgehandelt und die Botschaft, zur Klampfe gesungen, lautet: „Es ist schwer, friedlich zu sein. Wir werden nur überleben, wenn wir jetzt fest zusammen stehen.“ Da gähnt es im erwachsenen Publikum und ein kleines Mädchen ruft „noch mal“.
Livian, 6 Jahre, fasst zusammen: „Das war ein spannender, langer Film. Zum Glück hat die Katze die beiden Kinder befreit, bevor die Krokodile kamen. Das war ganz schön knapp.“
Nach Hollywood-reifer Spannung wird infrage gestellt, ob die große Flut tatsächlich stattgefunden hat, denn die tot geglaubten Eltern von Lili haben nichts bemerkt und sehen auch nicht die Schiffe, die auf Bergspitzen um das Friedefreudemultikultifeuer herum stehen. Kinder kann man im Kino mit fast allem begeistern, als Erwachsener, der mit diesem Film schließlich auch gewonnen werden sollte, lautet das Resümee: schade.Willkommen im Tabu
Ma m?re

Im katholischen und auch muslimischen Glauben gilt die Mutter als Inbegriff der Unbeflecktheit und wird besonders von den Söhnen im Sinne des eigenen Selbstwertgefühls gegen jede Verleumdung verteidigt und – stilisiert. Das Schlimmste, was einem Sohn demnach passieren kann, ist die Entdeckung, dass die Mutter nicht diesem (Heiligen-) Bild entspricht. In Ma m?re wird ein Sohn gezwungen, seine über die Maße geliebte Mutter so zu sehen wie sie ist, er wird von ihr verführt, den schmalen Grat zwischen Liebe und deren Abarten zu betreten. Regisseur Christopher Honoré hat 2003 dieses skandalträchtige Thema nach einer Romanvorlage von Georges Bataille (1897-1962) auf gelungene Weise in die Gegenwart gerückt.
Eigentlich soll es Pierre als Vorwarnung dienen, als sein Vater von den Masken spricht, die er und seine Frau im Laufe der Zeit zu tragen begonnen haben. Kaum auf der Mittelmeerinsel angekommen, auf der die Mutter aller Abgründe (Isabelle Huppert in der Steigerung ihrer schon bekannten Potenzen) ohne ihre Familie lebt, entspannt sich erotische Anziehung zwischen Mutter und Sohn. Der Vater fährt zurück nach Frankreich und kommt ums Leben. Von Pierre wird verlangt, diesen existentiellen Verlust genauso gefühllos wegzustecken wie seine Mutter. Im Arbeitszimmer seines Vaters rechnet Pierre zwischen Erregtheit und Gewissensqual mit seinem Erzeuger ab. Immer wieder sucht er Halt im formelhaften Gebet, das ihm seine Erziehung als vermeintliche Rettung antrainiert hat, doch die Haltlosigkeit der Mutter übt solche Anziehungskraft aus, dass er sich auf ein Spiel einlässt, für das die Mutter später keine Verantwortung übernehmen wird, so wie alle Verderbtheiten der „unfreiwilligen Feinde Gottes“ aus Antrieben erfolgen, die einem halbwegs wertefesten Zuschauer verborgen bleiben und wohl auch bleiben wollen. Die begehrenswerte Mutter verkuppelt Pierre mit ihrer südländischen Geliebten Rea, die fortan, in einem Fest der schönen Leiber, als Medium zwischen Mutter und Sohn, als Bindeglied und Trennmittel der inzestuösen Neigung fungiert. Die Urlaubsinsel erscheint als Tempel der Verderbtheit. Pierres Innenleben, musikalisch mit choraler Musik unterlegt, prallt auf die ordinäre Außenwelt (die übrigens in bewusster Anspielung teilweise in der Manier von Videoaufnahmen gezeigt wird). Mit der scheinheiligen Einsicht, sie seien zu weit gegangen, entzieht sich die Mutter und geht ihrem Gewerbe als der „größten Hure des Mittelmeers“ nach und hinterlässt Pierre ein Mädchen namens Hansi, zu dem er eine zärtliche Zuneigung entwickelt, die Hoffnung auf „Heilung“ schöpfen lässt. Doch Hansi bringt neue Seiten von Pierres Mutter zu Tage. Sadistische Seiten, der sich die junge Frau selbst nicht entziehen kann, weil bei ihr Zuneigung und Perversität unschuldig Hand in Hand gehen. In gleicher Ambivalenz, in der Pierre nach diesen Zügen seiner Mutter forscht, wird auch der Zuschauer gefangen gehalten: Wissen wollen – nicht wissen wollen.

Ein genial gemachter Film mit der Ausstrahlung sinnlicher Schönheit, Leichtigkeit und der Abstoßung moralischer Grenzübertritte, bei der ein Sohn nach drängender Aufforderung das Heiligtum der Mutter fröhlich befleckt. Die Unheilige wird zum biblisch-blutigen Schluss mit dem Song „Happy together“ lapidar im Krankenwagen abtransportiert und gläsern konserviert. (Anna Kaleri)

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