Letztes Jahr im Kinosaal

Film-Rückblick 2004: „Die Träumer”, „American Splendor”, „Lost in Translation”. „Vater und Sohn”. Je régrette…

Enttäuscht haben Bertoluccis Träumer, eine kitschige Altmännerfantasie, keineswegs träumerisch, sondern klischeeüberladen und unentschlossen. Einzig ein paar Szenen, in denen die schönen jungen Menschen ihre Liebe zum Film demonstrieren, konnten überzeugen. Erzähler, die erzählen, was man selbst sieht, melancholische dunkelhaarige Geschwister in einer malerischen Altbauwohnung, aufdringliche Symbolik (der Stein, die Realität, die durchs Fenster bricht) und schlechte Dialoge, das verführt niemanden zum Träumen. Und zum Schluß auch noch die Piaf. „Je ne regrette rien“, doch, wir schon, den Kinobesuch nämlich.

Überladen wirkte auch Rivettes Histoire de Marie et Julien, ein Film der durch seine Geheimniskrämerei keinesfalls Spannung erzeugte, sondern das Gegenteil und in einen geradezu haarsträubenden Schluß schlingerte.

Einfach nur öde war der American Splendor, weil er ein Grundprinzip des Erzählens verletzte: Stelle Langeweile nie durch langweilige Schilderung dar. Und wenn der Schöpfer der American Splendor-Comics ein langweiliger Typ ist, heißt das nicht, dass man einen langweiligen Film darüber machen muß, mit lauen Witzen und unerschöpften Möglichkeiten der Vermischung von Spiel- und Trickfilm. Irgendwie war alles halbgar. Dass die Verfilmung im Film thematisiert wurde, und der echte Harvey Pekar auch noch auftauchte, rettete die Sache auch nicht und wirkte nur künstlich. Gähn.

Wie es uns gefällt…Lost in Translation waren die beiden Figuren in Sophia Coppolas Film. Der Zuschauer verlor sich in dem sanften Meisterwerk voll leisem Humor und folgte den in der fremden Stadt Verlorenen äußerst gerne. Wie auf einem exotischen Planeten bewegten sich die Hauptdarsteller durch die Fremde und begegneten sich, hielten die Berührung aber in der Schwebe – und berührten dadurch sein Publikum.

Vor allem auf zwei Figuren beschränkte sich auch Alexander Sokurov in Vater und Sohn, dem zweiten Teil seiner Familientrilogie und etwas ganz anderes als sein letzter Film, der Gang durch die Eremitage. Die hermetische Welt von Vater und Sohn wird in atmosphärischen Bildern der Wohnung, der Stadt, der Hausdächer gebannt. Ganz nah kommt die Kamera an die beiden heran und entlockt ihnen trotzdem wenig. Sie können, fast wie Liebende, nicht voneinander los. Das wird assoziativ erzählt, vieles bleibt im Geheimen, und das ist gut so. Denn es geht um die aktuelle emotionale Bindung der Beiden aneinander, und die wird sehr deutlich.

Um die Vater-Sohn-Beziehung ging es auch in dem großartigen Film Die Rückkehr von Andrej Swjaginzew, einer Reise durch beeindruckende Seelenlandschaften, einer Reise voll beklemmender Spannung. Die Gesichter der Darsteller wie die Landschaften erzählen von existenziellen Konflikten, parabelhaft wirkt das Meisterwerk, und keineswegs symbolüberladen.

Ein Meisterwerk war auch der mit großer Verspätung in die Leipziger Kinos gekommene Songs from the second floor von Roy Andersson. Sehr statisch und artifiziell werden hier Themen aufgegriffen und umkreist, Geschichten nur angerissen. Die perfekt durchkomponierten Bilder, skurril, aufwühlend, düster, sind Bestandsaufnahmen einer stehengebliebenen Welt. Ein apokalyptisch anmutender Stau tobt hinter den Fensterscheiben, die weißgeschminkten Darsteller bewegen sich starr und leichenhaft. Die Poesie verbannt man ins Irrenhaus, Versicherungsbetrug wird begangen, wilder Handel mit religiösen Symbolen getrieben. Nicht umsonst lief der Film vor einiger Zeit schon einmal in der Reihe „Zuarbeit“ der Schaubühne Lindenfels, bei der es um die moderne Arbeitswelt und die daraus resultierenden Lebensverhältnisse ging. Der tragisch-melancholische Abgesang Songs from the Second Floor ist Anderssons Kommentar dazu.

Ein Erlebnis war zweifelsohne Heimat 3 an zwei Tagen in der Schaubühne. Zur Stärkung gab es Häppchen, die zu essen man kaum in der Lage war mit einem derartig vollgestopften Kopf. Edgar Reitz hat Mut zu großen Gefühlen bewiesen, zu dramatischen Situationen, zu großen und auch großartigen Bildern. Irgendwie verzeiht man, wenn das Ganze manchmal etwas hölzern oder plakativ wird, die Geschichten sind so breit erzählt, dass es keine Rolle spielt, es wird einfach aufgefangen. Die Protagonisten wachsen einem derartig ans Herz, dass man nach der großen Feier am Ende gar nicht glauben will, dass es vorbei ist.

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