Die Brautjungfer
(La Demoiselle d’honneur)
Frankreich 2004, 90 min.
Regie: Claude Chabrol
Darsteller: Benoit Magimel, Laura Smet, Aurore Clément, Bernard Le Coq Verleih: Concorde
Kinostart: 6. Januar 2005
(Bilder: Concorde Film)Flach oder tief, das ist hier die Frage
„Verrücktheit ist unendlich faszinierender als Intelligenz, unendlich tiefgründiger“, äußerte der heute 74-Jährige Claude Chabrol einmal in einem Interview. In seinem neuesten Film, mit dem er zum 56. Mal Regie führt, lässt er einen jungen, eher rationalen Mann auf eine Frau treffen, die sich selbst „Darstellerin“ nennt, ab und zu einen neuen Namen trägt und auf luzide Weise verrückt zu sein scheint. Chabrols Filme kommen selten ohne Leiche aus, so auch dieser nicht. Der Altmeister charakterisiert sich selbst als etwas grobschlächtig, obwohl er sich einem subtilen Thema verschrieben hat: den unerhörten Möglichkeiten, die unter der glatten Oberfläche bürgerlicher Existenzen gären. Nach einem Roman von Ruth Rendell begibt sich Chabrol diesmal in den schnöden Mittelstand, in ein Szenario, das man zu kennen meint. Philippe (Benoit Magimel) arbeitet in einem kleinen Bauunternehmen, er ist zuverlässig, diplomatisch, meistert jede Situation und wird mit dem Vertrauen seines Chefs belohnt. Zu Hause ersetzt er das Familienoberhaupt. Der Vater hat seine schicksalsergebene, aufopfernde Frau samt der drei Kinder vor langer Zeit verlassen. Philippe verspricht auch hier, alles im Griff zu haben: „Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich darum“. Die jüngste Schwester driftet zwar etwas ins kleinkriminelle Milieu ab, Überforderung eines Sohnes als Partnerersatz ist aber nicht Thema dieses Filmes, sondern grenzenlose Leidenschaft, die in Phillippe schlagartig ausbricht, als er auf Senta (Laura Smet) trifft. Sie lebt im Keller einer heruntergekommenen Villa und entstammt einer als Eigenkreation zu verstehenden Welt. Senta verwirrt Philippe mit ihrer Lebensgeschichte, die ihm zu phantastisch erscheinen muss, um wahr zu sein. Undurchdringlich aufrichtig hält Senta den ganz anders gearteten Philippe für ihren Auserwählten und räumt ihm den Hauptplatz in ihrem Leben ein, der unmittelbar mit psychischer Abhängigkeit verbunden ist. Philippe vergöttert sie und versteckt eine Steinbüste in seinem Zimmer, die sowohl der Mutter als auch Senta ähnlich ist und wohl als Symbol seiner Liebe fungiert.
So charismatisch die beiden Hauptdarsteller im Einzelnen sein mögen, so stimmungsvoll die Musik und mancher Schauplatz – es mag die dem eigenen Leben schon sehr fern stehende Idee des amour fou im Regisseur gewirkt haben, aber hier bleibt sie bemüht und abstrakt. Physische Nähe wird zwar angedeutet, lässt aber ein Knistern vermissen. Der Kippelzustand zwischen zu plötzlicher und zu großer Nähe und der damit verbundenen Gefahr des ebenso abrupten Endes, wird in der schlagartigen Verstricktheit beider für Liebe gehalten und findet seine Krönung darin, dass Senta als Liebesbeweis einen Mord fordert. Das umreißt nun entweder eine psychologisch höchst interessante Konstellation oder aber schlichtweg den wunden Punkt des Films: Wird hier ein Mord als äußerstes Mittel einer subtil-klaren Verrücktheit benutzt oder an den Haaren herbeigezogen, genauso wie die zumindest unglaubwürdig dargestellte gegenseitige Verfallenheit? Ein Zufall kommt Philippe zu Hilfe, so dass er Senta die Erfüllung ihres Auftrages vortäuschen kann, allerdings überzeugt Benoit Magimel alias Philippe an dieser Stelle nicht einmal sich selbst. Doch Senta, in Liebesfatalismus und Wahrheitstreue, nimmt jedes Wort für bare Münze und greift nun ihrerseits zum Glasdolch und tötet in der Selbstverständlichkeit einer Routinearbeit einen vollkommen Unbeteiligten.La Demoiselle d´ honneur ist eine Geschichte, die sich am Ende schließt, die von liebenswürdigen Details und ungeglättet schönen Momenten gespeist wird, aber an einer Stelle auf Geheimnisvolles pocht, an der es künstlich bleibt. „Geheimnisse sind noch keine Wunder“, würde Altmeister Goethe dazu sagen.(Anna Kaleri)
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