„Grenzgänger”, ein gelungenes Stück über Immigration in Deutschland (Anna Kaleri)

8.01.2005
Schaubühne Lindenfels

Grenzgänger
Ein Stück über das Glück in Deutschland

Eine Produktion von fringe ensemble/phoenix5 in Zusammenarbeit mit dem Theater im Ballsaal Bonn, dem Pumpenhaus Münster und der Schaubühne Lindenfels

Regie: Frank Heuel
Dramaturgie: Harald Redmer
Bühne und Kostüme: Lisa Witzmann
Darsteller: David Fischer, Stefan Kraft, Judith Lodewijks, Bettina Marugg, Laila Nielsen


Die Grenze mitten durchs Selbst

„Es gibt keine Fremden, nur Freunde, die man noch nicht kennt.“
Irisches Sprichwort

Ein Summen wie von Geistern nähert sich dem Publikum im dunklen Saal. Lieder in verschiedenen Sprachen liegen in der Luft. Mohrrüben werden schnurpsend verspeist. Asche fällt in einem Lichtkegel auf das Haupt einer Frau. Es stäubt Stroh. Und dank Regengott Momunta regnet es sogar. Ein Theaterstück als Fest der Sinne. Und das obwohl oder gerade weil es sich um ein ernstes Thema dreht, das nicht jeden aus seinem Häuschen locken würde: Immigration in Deutschland.

Fünf Schauspieler setzen Interviews mit sechs Immigranten in Szene: theatralisch überhöht und jeder der Persönlichkeiten gerecht werdend und ohne dass es der Komik entbehrt. Denn tragikomisch wirkt es schon, wenn eine Person von zwei oder gar fünf Darstellern verkörpert wird – nicht als Anklang an Schizophrenie, sondern an den Stimmenkanon im Kopf des Einzelnen, der durch einen extremen Umgebungswechsel mit der Herausforderung lebt, konträren Ansprüchen gerecht zu werden, den Werten der einen und der anderen Heimat.

Zum Beispiel Drago, der als Kind kroatischer Eltern in Deutschland geboren wurde und allein hier zurück blieb, zunächst zurück gelassen, dann freiwillig, trotz bürokratischer Schikane. Er zerfällt auf der Bühne in zwei Persönlichkeitsanteile: Der Eine, „ein ganz normaler urbaner Städter“, nimmt der Drastik seines Lebens als „Geduldeter“ die Spitzen kraft seines differenzierten, intellektuellen Ausdrucks. Er präsentiert sich als gelassen. Der andere Anteil jedoch schreit, wütet aus Hilflosigkeit über das Unverständnis, über die „Kanakenkeule“, die mitunter geschwungen wird. Und fragt sich nach der jugoslawischen Seele, die doch auch irgendwie in seiner Brust wohnt.

Kulturelle Zwitterwesen leben mit uns. Sie werfen einen Außen-Innen-Blick auf die deutsche Kultur, der nicht neu ist, aber immer wert, erwähnt zu werden. Die guten wie die schlechten Seiten, ohne dabei übermäßig auf Klischees zu bauen. Denn das Korrekte beispielsweise, als Eigenschaft der Deutschen, erfährt seine Ausprägung sowohl in einer rechtlichen Verbindlichkeit als auch in einer unmenschlichen Bürokratie. Rosanna, eine Übersetzerin aus Togo wird regelmäßig gefragt, ob sie Afrikanisch spricht – ein Anzeichen von Unbildung, die wir höchstens gewissen US-Amerikanern zutrauen würden. Und ist uns schon einmal in den Sinn gekommen, dass ein sonnenverwöhnter Mensch in Deutschland die ersten Depressionen seines Lebens erfahren kann? „Hier musst du immer stark sein, sonst kannst du hier nicht überleben. Gerade wenn du aus dem Ausland kommst, musst du stark sein.“

Die individuellen Einzelschicksale, die auf der Bühne präsentiert werden, dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich um Menschen handelt, die es, relativ gesehen, gut getroffen hat. Sie können sich einigermaßen frei bewegen und verfügen über die deutsche Sprache als wesentliche Grundlage der Integration.

Wohltuender Klamauk mittendrin: Ein Wesen mit Strohaaren setzt singend und auf einem Hometrainer radelnd das wunderbare, multifunktionale Bühnenbild in Gang. In einem länglichen Stoffgebäude hocken die Darsteller wie in Hasenställen. Eine Metapher für die un-/freiwillige Ghettoisierung? Das Stück erhebt keinen Zeigefinger und lässt sich nicht auf eine Kernaussage reduzieren. Man kann damit in seinem Kopf anfangen, was man will. Es ließe sich, nur als Beispiel, ein Plädoyer für das Zuhören ableiten. Unsere ursprünglich ausländischen Mitbürger bringen eine Geschichte mit. Sie müssen geduldig sein und fordern Geduld. Sie bringen unserer Kultur Einiges, an dem es fehlt und sie fordern das Öffnen der Grenze auch im Kopf der ursprünglich Deutschen.

(Anna Kaleri)

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