Premierendialog: „Floh im Ohr” von Georges Feydeau (René Granzow)

Georges Feydeau, „Floh im Ohr“ (Premiere)

Es spielen: Michael Schütz, Susanne Stein, Martin Reik, Jens Winterstein, Stefan Schießleder, Heidi Ecks, Aurel Manthei, Michael Schrodt, Bettina Riebesel, Andreas Keller, Barbara Trommer, Dieter Jaßlauk, Jörg Malchow, Jana Bauke, Manuel Mai

Regie:Wolfgang Engel
Bühnenbild:Horst Vogelgesang
Kostüme:Katja Schröder

22. Januar 2005
Schauspielhaus Leipzig

Foto:Rolf Arnold

„Leicht, verspielt und brav“

Raymonde Chandebise glaubt, ihr Mann, Victor-Emmanuel, würde sie betrügen. Nicht nur ein paar Hosenträger – seine Hosenträger – die per Post aus einem Hotel namens „Zur zärtlichen Miezekatze“ geschickt werden, sondern vor allem seine momentane sexuelle Inaktivität ihr gegenüber sind für sie die klaren Indizien seiner Untreue. Die gekränkte Ehefrau erspinnt sich zusammen mit ihrer Freundin Lucienne eine Falle und lässt sie einen fingierten Liebesbrief schreiben, in dem Herr Chandebise in das anrüchige Hotel geladen wird. Kommt er, dann ist er überführt. Dieser schickt stattdessen aber seinen Geschäftspartner Romain Tournel, der es wiederum auf Raymonde abgesehen hat. Der eifersüchtige Ehemann von Lucienne erkennt unterdessen im Brief die Handschrift seiner Frau und schwört Rache. Hinzu kommen noch die lustvolle Antoinette, die Frau von Etienne, der Butler bei den Chandebise, Dr. Finache, Camille Chandebise, der Neffe und der Hoteldiener Poche, der Victor-Emmanuel wie aus dem Gesicht geschnitten ist. So beginnt ein buntes Treiben und eine Menge grotesker Verwirrungen.

Premieren haben immer etwas Sonderbares: Die Leute sind ausgelassener und angespannter zugleich als bei „normalen“ Aufführungen. Und sie diskutieren Heiß spornig über das soeben Dargebotene. Da werden Schauspieler hoch gelobt oder mit abwertendem Kopfschütteln madig gemacht, Schwächen und Stärken des Stückes radikal angesprochen und die Inszenierung wird bis ins kleinste Detail ausgewertet.

So auch an diesem Abend, bei der Premiere von „Floh im Ohr“. So ganz einig waren sich die Zuschauer in ihrer Meinung zum Stück nicht.

Ich möchte einen Dialog wiedergeben, wie er sich nach der Aufführung auf der anschließenden Premierenfeier hätte abspielen können.


Premierenbesucher 1: Und wie fandest du’s?

Premierenbesucher 2: Na toll … Es war witzig, schnelllebig und intelligent inszeniert!
Premierenbesucher 1: Also ich seh‘ das anders. Für mich sind die letzten Worte im Stück die ganze Wahrheit des Abends: „Das ist nicht komisch!“

Premierenbesucher 2: Da scheinst du aber der Einzige zu sein. Das Publikum hat sich köstlich amüsiert und auch die Schauspieler hatten beim Spielen scheinbar viel Spaß. Und der gewaltige Applaus zeigt doch, dass es gefallen hat.

Premierenbesucher 1:Leicht Kost kommt immer gut an. Ich habe jedoch einen anderen Anspruch ans Theater. Wir haben andere Probleme als die Spießerwelt vor Hundert Jahren. Und wenn man sich schon ein solches Thema wählt, dann sollte man es nicht so brav inszenieren und in unsere Zeit legen. Wie in Erfurt „Hänsel und Gretel“ oder in Dresden, wo Arbeitslose ihre Wut über Hartz IV auf der Bühne artikulieren.

Premierenbesucher 2:Kunst muss nicht immer politisch sein. Es reicht doch, wenn Politiker sie instrumentalisieren. Die Leute gehen ins Theater, um sich zu amüsieren. Und das können sie mit diesem Stück aus voller Seele. Außerdem, die Spießer von damals, gibt’s heute immer noch. Für mich ist das Stück aktuell. Es ist das pure Leben, mit allem, was dazu gehört: Eifersucht, Verwirrung, Männergehabe und Frauengetue.

Premierenbesucher 1:Nur dass das Leben heute nicht mehr einer Boulevard-Komödie aus der Belle Epoque gleicht.

Premierenbesucher 2:Eben doch. Schau dir nur mal zum Beispiel die Ehefrau, Raymonde Chandebise, an. Weil ihr Mann eine sexuelle Blockade hat, deutet sie seine an ihn selbst geschickten Hosenträger als Indiz für den Ehebruch. Und weil er sie angeblich betrügt, lässt sie von ihrer so eben begonnenen Affäre ab und füllt sich gekränkt. Der Ehemann wiederum spielt sich in einer Männerrunde als Macho auf, als er den fingierten Liebesbrief bekommt. Alles Koketterie – eine Welt aus Schein und Sein. Das kommt mir auch heutzutage sehr bekannt vor.

Premierenbesucher 1:Das mag ja sein. Aber die Figuren haben in dieser Inszenierung keine Tiefe – sie sind charakterlich Leichtfüßler. Und dermaßen überspitzt, dass es schon nicht mehr lustig ist: ein sprachgestörter Neffe, der „nur Vokale zu bieten hat“, ein schießwütiger Spanier, ein übertrieben wilder Engländer und noch ein russisches Zimmermädchen; das ist doch zuviel des Guten – da wäre weniger mehr gewesen.

Premierenbesucher 2:Aber genau deswegen ist doch das Stück so komisch und so treffend. In der Überspitzung liegt der wahre Kern. Und vor allem grandios gespielt. Manchen Schauspielern scheint die Rolle auf den Leib geschneidert: zum Beispiel Aurel Mantei als spanisches Heißblut ist fabelhaft in Szene gesetzt. Susanne Stein und Heidi Ecks integrieren brillant, Michael Schütz in der Doppelrolle als spießiger Ehemann und trotteliger Hoteldiener spielt ausgezeichnet.

Premierenbesucher 1:Gebe ich gerne zu. Und trotzdem, 2 ½ Stunden Slapstick-Theater ist mir zu viel – noch eine Verwechslung, wieder ein aberwitziger Zufall, eine weitere Verwicklung. Bei der Effekthascherei bleibt mir nach kurzer Zeit das Lachen im Halse stecken.

Premierenbesucher 2:Mir nicht. Ich hatte einfach einen lustigen und verspielten Abend.


(René Granzow)

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