„Klangwanderungen”

Ulrike Liedtke veröffentlicht ein Buch über den Leipziger Komponisten Karl Ottomar Treibmann

Über den Leipziger Komponisten Karl Ottomar Treibmann erschien bei Kamprad der Band „Klangwanderungen“, publiziert von Ulrike Liedtke, einer Spezialistin für Neue Musik und gegenwärtiges Theater. Als Direktorin der Bundesakademie in Rheinsberg ist die Herausgeberin mit der künstlerischen Leitung und der Geschäftsführung dieser Fortbildungs- und Begegnungsstätte für junge KünstlerInnen betraut. Sie studierte in den Jahren von 1977 bis 1982 Musiktheorie und Tonsatz bei Treibmann. Treibmann aber selbst ist ein Sinfoniker und Opernkomponist von Rang, bekannt und geachtet als Tonsetzer verantwortungsbewusster Modernität.

Nachdem die Herausgeberin in ihrem Buch kurz den Lebensgang des Komponisten vorstellt, wendet sie sich seinem Schaffen zu, ordnet die einzelnen Werke nach ihrer Entstehungszeit und verschafft dabei dem Leser spannende Einblicke in deren musikalische Strukturen. Im Anschluss an die Schaffensstationen kommt im Buch der Komponist selbst zu Wort und mit ihm all diejenigen, die als Librettisten, Regisseure und Weggefährten sein Künstlertum begleiteten. Im Anhang findet der Musikinteressierte das ausführlich aufgelistete Werkverzeichnis, Angaben zu Archivaufnahmen und zur Diskografie, eine Titelauswahl der Schriften über Treibmann, seine Selbstzeugnisse und die Transkriptionen von Gesprächsrunden im Rundfunk sowie die Besetzungslisten seiner drei Opern. Aufnahme fanden auch die Texte zur Oper „Der Preis“ und zur Chorsinfonie „Der Frieden“.

Die von Liedtke zusammengestellten Zeugnisse und Dokumente zeigen Treibmann als bewusst Eigenständigen, als Tonsetzer von energiegeladener Vitalität, dessen Personalstil prägnant, wohlerwogen und in jeder Phase tief empfunden ist. Befragt über seine Schaffenspositionen, äußerte sich der Komponist: „Meine Kunst wendet sich an Verstand und Gefühl gleichermaßen. Sie ist als Gesprächsangebot gedacht und soll anspruchsvoller Unterhaltung dienen. Ich strebe nach übersichtlicher Architektur, nach geschlossener Form. Die Ökonomie klassischer Partituren interessiert mich sehr. Innerhalb der tradierten Gattungen Oper, Sinfonik, Kammermusik sehe ich meinen Standort.“

Treibmann verfiel als Tonkünstler nie einem flott daherkommenden Modernismus. Aus dem Vogtland stammend, auch heute noch diesem Landstrich von Herzen zugetan, ist seine Musik auf keinen Fall regional gebunden, sie ist das Gegenteil von provinziell, sie zeigt sich weltoffen und tritt weit über die Grenzen Sachsens hinaus als originäre Tonkunst in Erscheinung. Sein Schöpfer erreichte als Ausdrucksmusiker von Format einen hohen Bekanntheitsgrad.

Treibmanns Tonstücke können sich als unbequem erweisen, aber gerade dadurch wollen sie die Aufmerksamkeit der Hörer herausfordern und ihre Erlebnisweisen nachhaltig steigern. Besonders in seiner zweiten, vierten und fünften Sinfonie, aber auch in manchem kammermusikalischen Werk erlebt der Hörer schroffe Brüche, jähe Wendungen und Kontraste, die dem musikalischen Geschehen eine unwiderstehliche Lebendigkeit verleihen. Gelegentlich baut Treibmann der Zuhörerschaft auch goldene Brücken, indem er sich traditioneller Klanggesten bedient. Weil er aber diese wiederum verfremdet und fragmentarisch bricht, verhindert er, dass seine Schöpfungen als nostalgische Gebilde im Orkus verschwinden. Heutigentags, wo sich in der Welt der Musik immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass eine Totalabsage an die Tradition der Tonkunst zur Separation, zur Selbstisolation führt, erkannte bereits der Leipziger Komponist die Gefahr dieses Phänomens zu einer Zeit, als die Verfechter einer fragwürdigen Modernität noch um jeden Preis bis auf des Messers Schneide stritten. Treibmanns Sinfonien sind als kraftgeballte Tongebilde mit ihren aufrauschenden Klangstürmen und gewaltigen Entladungen hervorgegangen aus dem Geist großer Tradition, wie überhaupt die Werke des Leipzigers zu jenen Schöpfungen gehören, deren Eindruck und Bedeutung immer klarer hervortreten, je häufiger sich der Rezipient mit ihnen auseinandersetzt, ja, es erweist sich sogar, dass seine Musik heute besser verstanden wird, als zur Zeit ihrer Entstehung. Jedes Stück von ihm nimmt einen neuen Anlauf, an dessen Ziel die Lösung kompositionstechnologischer Probleme steht, oftmals inhaltlich eingebunden in Schicksals- und Menschheitsfragen.

Die vierte Sinfonie mit ihren Sätzen I. Zeichen, II. Nicht zögern, III. Kadenz, IV. Lob der Volksmusik und die Fünfte, dreigeteilt in I. Aktion, II. Meditation, III. Dithyrambus, beide 1988 komponiert, fingen unzweifelhaft die Aufbruchstimmung zur Wendezeit ein. Treibmann sagt selbst: „Es sind keine resignativen Stücke. Ihre Satzbezeichnungen könnte man programmatisch interpretieren.“ Die Titelung „Lob auf die Volksmusik“ fügt sich allerdings nur schlecht in den Gestus der vorangegangenen Benennungen ein und will auch nicht so recht zu der einzigartigen Musik passen. Das Stück ist eine Burleske, es hätte schlicht und aufrichtig auch so bezeichnet werden können.

Treibmann komponierte drei Opern: 1978 „Der Preis“ (UA Erfurt 1980), 1986 „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ nach Christian Dietrich Grabbe (UA Erfurt 1987), 1987 „Der Idiot“ nach Fjodor Michailowitsch Dostojewski (UA Leipzig 1988). Das Libretto zu allen drei Bühnenwerken schrieb Harald Gerlach. Die Entstehungsgeschichten der drei Opern, ihre Wirksamkeit dokumentieren die „Klangwanderungen“ umfangreich und tiefgründig. Im „Preis“ spielen die Inhalte „Umweltschutz“ und „Friedensbewahrung“ eine große Rolle. Es geht um die Verantwortung von Mensch zu Mensch und vom Menschen zur Natur. Wie brisant die Themenwahl damals unter DDR-Verhältnissen war, zeigte sich, als die Bezirksverantwortlichen von Halle zehn Jahre nach der Erfurter Uraufführung in ihrer Stadt die Preis-Inszenierung unterbinden wollten. Auch die Erfurter Oper hatte zu ihrer Zeit erst einmal große Bedenken ins Feld geführt, nahm aber dann nach intensiven Diskussionen mit Treibmann und Gerlach das Stück für eine Musiktheaterwerkstatt an. Immerhin gelang es den Autoren, die Oper „Der Preis“ in dieser Weise auf die Bühne zu bringen. Über die erfolgreiche, spektakuläre Uraufführung am 01.03.1980 wird in Liedtkes Buch eindrucksvoll berichtet

Sieben Jahre nach dem „Preis“ wartete der Komponist mit einer komischen Oper auf. Das Libretto entstand nach dem 1822 verfassten, aber erst 1907 öffentlich aufgeführten Lustspiel „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ von dem Dichter des Vormärz Christian Dietrich Grabbe. Treibmann und Gerlach brachten das Kunststück fertig, allgemein menschliche Verhaltensweisen und Schwächen in den Blickpunkt des Geschehens zu rücken: Wichtigtuerei, Unaufrichtigkeit, Inkonsequenz, Gedankenlosigkeit, Schaumschlägerei, Herzlosigkeit. Um solches in Musik zu setzen, bediente sich Treibmann eines reichen Arsenals an Gestaltungs- und Ausdrucksmitteln, vom C-Dur-Dreiklang, mit dem die Oper anhebt, bis zu freitonalen Bindungen, mit denen die Oper schließt. Dazu gab es auch zynische Kritik. Über die Resonanz beim Publikum schreibt Treibmann: „Man konnte dem Publikumsverhalten entnehmen, dass die Brisanz der Aussage – ihre Gesellschaftskritik – gezündet hatte. Man amüsierte sich, allerdings verhalten. Es gab keine Gastspieleinladungen. Offensichtlich waren die Autoren mit ihrer Kritik zu weit gegangen.“

Als der Komponist dem Leipziger Publikum seine Dritte Oper „Der Idiot“ vorstellte, löste das Werk in der Premierenvorstellung helle Begeisterung aus. Dieser Erfolg blieb dem Musikdrama auch weiterhin treu und wiederholte sich beim Leipziger Gastspiel in der Semperoper während der Dresdener Musikfestspiele. Langanhaltende Publikumsreaktionen gab es auch zur Premiere in Rostock am 5. November (!) 1989. Rostock gastierte mit seiner Aufführung 1990 zur Kieler Woche. Auch hier stürmischer Applaus. Großartige Inszenierung und großartiger Erfolg dieser Oper außerdem zur Wiedereröffnung des Zwickauer Theaters 1997, ein Beweis dafür, dass die Grundaussage hochaktuell geblieben ist.

Zwei Welten stehen sich gegenüber, auf der einen Seite der vollkommen humane Mensch Fürst Myschin und auf der anderen der Kaufmann Rogoshin. Beiden ist der Verfall ihrer gesellschaftlichen Umwelt bewusst. Der eine glaubt an die Rettung durch das Gute im Menschen, der andere aber will die Vernichtung. Myschins allumfassende Menschenliebe vermag den Verfall nicht aufzuhalten. Seine Menschenfreundlichkeit, seine Sensibilität, außerdem eine Nervenkrankheit bewirken, dass ihn die Adligen aus ihrer Clique stoßen und als Idioten hinstellen. Treibmanns Werk aber tritt ein für die Würde des Menschen in einer würdelosen Zeit.

Die Musik charakterisiert in hervorragender Weise das Beziehungsgeflecht der beteiligten Personen und legt schonungslos ihre innersten Handlungsimpulse offen. Beachtenswert die Tatsache, dass der Bühnengesang immer dominiert und selbst Orchesterausbrüche ihn nie zu überdecken vermögen – Gütesiegel für eine gelungene Oper! Ständiges Nachplappern melodischer Floskeln, rhythmisch verzerrter Sprechgesang, stotternde Staccati fordern eine Komik heraus, die kritische Einsichten befördert. Diese Oper ist ein Gewinn für das zeitgenössische Musiktheater.

Treibmanns Künstlertum erfährt eine Erweiterung durch eine andere Art schöpferischen Betätigungsdranges. Er schuf bisher mehrere hundert Grafiken und Bildcollagen, die er selbst als „grafische Randbemerkungen“ bezeichnet. Frauke Hinneburg schrieb dazu für „Die Klangwanderungen“ einen Aufsatz unter dem Titel „Lautlose Kompositionen begleiten das musikalische ?uvre Treibmanns“, ein sehr niveauvoller Text, äußerst einfühlsam, kunstwissenschaftlich exakt, ergänzt durch zahlreiche Reproduktionen bester Qualität.

Das Schaffen des Leipziger Komponisten zeigt Werke unterschiedlichster Verfahrensweisen, Technologien und Gattungen, ist inhaltlich reich gefächert, nie einförmig, immer von hohem Ethos getragen. Ulrike Liedtkes Buch und dessen Herausgabe durch den Kamprad-Verlag kommt das Verdienst zu, alles Bisherige systematisiert und kenntnisreich analysiert zu haben, um auf diese Weise der Musik Karl Ottomar Treibmanns die gebührende Wertschätzung entgegenzubringen.

Ulrike Liedtke:
Karl Ottomar Treibmann – Klangwanderungen

Festeinband, zahlreiche Abbildungen
ISBN.: 3-930550-32-6

Verlag Klaus-Jürgen Kamprad, Altenburg 2004

teilweise vierfarbig, 216 Seiten, 39,00 Euro


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