Archaik bei Grieg und Arutjunjan

Das Leipziger Universitätsorchester spielt im Gewandhaus unter Leitung von Anna Shefelbine

Gewisse Eigenheiten des Leipziger Universitätsorchesters (LUO) stellen sich bereits in der Programmgestaltung heraus: Erfreulicherweise wird immer ein Werk der Moderne aus dem 20. Jahrhundert vorgestellt. Nach Bartók und Prokofjew war es am 6. Februar 2005 der Armenier Alexander Arutjunjan, dessen Trompetenkonzert in As-Dur im Großen Saal des Gewandhauses zu Gehör gebracht wurde.

Die Zuhörer husteten noch, als das Orchester mit diesem Stück begann, und wurden sogleich ruhig gestellt durch das packende Intro des jungen Solisten Philipp Lohse. Mit wechselnden Taktarten und modalen Harmonien hat das Konzertstück etwas Folkloristisches an sich. Doch war das eingeschlagene Tempo etwas überhastet, die dialogischen Stellen zwischen Trompete und Orchester wurden leicht überhört. Vielleicht sollte doch einmal eine Probe mehr angesetzt werden. Als sich das Ganze etwas beruhigt hatte, waren die Soli der Klarinette und später der Flöte annehmbar zu hören. Eine Trompete muss sich nicht blechern anhören: Lohse demonstrierte im langsamen Abschnitt, wie sie sich sehr holzig dem Klang eines Englischhorns annähern kann. Ich bin gespannt, was noch von Philipp Lohse zu hören sein wird.

Die Folklore in der Kunstmusik schlägt sich hier neben dem Trompetenkonzert auch in der 2. „Peer Gynt“-Suite von Edvard Grieg nieder. Die Dirigentin Anna Shefelbine beschränkte sich nicht auf das Schema „Melodie und harmonischer Klangteppich“. Das zahlte sich in der sogar bei Grieg gelegentlich auftretenden Polyphonie aus, nämlich in „Anitras Tanz“. Blech und Schlagzeug gaben der „Heimkehr von Peer Gynt“ einen gewissen archaischen Touch. Insgesamt sehr schön gespielt. Nur – man sollte nicht in der Stille des Abgangs von Anitra umblättern.

Die vierte Sinfonie op. 120 von Robert Schumann ist in stilistischer Nachbarschaft zur jugendfrohen Frühlingssinfonie entstanden, zehn Jahre später aber vom Komponisten umgearbeitet worden – daher die hohe Opuszahl. Ähnlich wie bei Bruckner gibt es also zwei Fassungen der Sinfonie, die beide einer Aufführung würdig wären. In diesem Konzert war indes die spätere Version zu hören.

Ein schwieriges Stück! Der Komponist versuchte hier als einer der ersten in der abendländischen Musik, die Mehrsätzigkeit in eine groß angelegte Einsätzigkeit umzugießen. Sein Rezept war es, die ersten drei Sätze offen anzulegen – etwa im Kopfsatz die Reprise nur rudimentär auszubauen, um im Finale die ganze Konstruktion zum Abschluß zu bringen. Die Einleitung der Sinfonie lebt von der unterschiedlichen Aufteilung ihres 3/4-Taktes in drei Viertel oder in zwei punktierte Viertel. Ich habe michgefreut, diese spannende Polyrhythmie hören zu können; die Bläser haben sich von den Achteln der Streicher nicht irritieren lassen.

Im zweiten Satz noch einmal Folklore: Die Oboe bringt ein orientalisch anmutendes Thema, ungewöhnlich harmonisiert. Beim zweiten Mal gelang der Einsatz etwas besser. Leider geriet mir der Mittelteil mit der Solovioline etwas belanglos, ich hatte mehr Arbeit in den interessanten rhythmischen Details bei den Holzbläsern erwartet. Dafür ergab sich ein besonderer Moment im Mittelteil des Scherzos. Das Trio war im Tempo und in der Lautstärke zurückgenommen und erlangte eine geradezu impressionistische Wirkung.

Es ist schwer, einen Drachen zu bezwingen und hinter sich herzuziehen. Das war mein Eindruck beim accelerando zum Finale, aber das neue, schnelle Tempo wurde nun doch erreicht. Dank dieses Tempos gelang es, die gewisse Langatmigkeit des Finalsatzes zu vermindern. Am Ende steht „Presto“, und in diesem hohen Tempo kam das Orchester auf die Zielgerade der ganzen einsätzigen Sinfonie. Mit „Blitz und Donner“ von Johann Strauß (Sohn) als Zugabe ging das Konzert zu Ende.

Der Klangkörper erschien erstmalig vor fast genau einem Jahr in einem Gründungskonzert als „studentisches Orchester“ und später im Sommer in einem Festkonzert unter seinem jetzigen Namen. Nun setzte das Leipziger Universitätsorchester gewissermaßen zum dritten Mal einen Anfang, nämlich der einer unaufgeregten Kontinuität, in Leipzigs Musikleben präsent zu sein.

Leipziger Universitätsorchester

Anna Shefelbine, Leitung
Philipp Lohse, Trompete

Edvard Grieg (1843-1907): Suite Nr. 2 aus „Peer Gynt“
Alexander Arutjunjan (*1920): Konzert für Trompete und Orchester
Robert Schumann (1809-1856): Sinfonie Nr. 4 op.120

6. Februar 2005, Gewandhaus, Großer Saal

www.uni-leipzig.de/orchester

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