Neuer Wein in alten Schläuchen: Rossinis „Barbier von Sevilla” in neuer Inszenierung (Sebastian Schmideler)

Gioacchino Rossini: Der Barbier von Sevilla
Inszenierung: Matthias Oldags
Kostüme: Andrea Kannapee
Musikalische Leitung: Helmut Kukuk

Leipziger Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn-Bartoldy
5. Juni 2005


Ein „Barbier“ mit Kapriolen: Rossini an der Hochschule für Musik und Theater

Gioacchino Rossini war gerade mal vierundzwanzig Jahre alt, als er seine Opera buffa „Il Barbiere di Siviglia“ schrieb, die ihn über Nacht unabwendbar zu dem gefeierten Star am Buffo-Himmel machte, der er bis heute geblieben ist. Kaum älter, ja zum Teil weitaus jünger sind die Ausführenden einer Opernproduktion der Leipziger Hochschule für Musik und Theater, die am 5. Juni 2005 im Großen Saal in der Grassistraße Premiere feierte.

Jugendliche Verve, unverbrauchte Energie, spürbarer Enthusiasmus und die Lust an Kapriolen und Übermut sind denn auch naturgemäß die musikalischen Vorzeichen, unter denen dieser insgesamt gelungene Opernabend stand. Und solche Eigenschaften können eigentlich nicht hoch genug geschätzt werden, denn sie sind wegen ihrer Natürlichkeit allemal mehr wert als der ausgefeilteste Perfektionismus, der mit rationaler Kühle einhergeht.
Es tut gut, junges Theater zu erleben, mit neuem Wein in alten Schläuchen und unter der Hand auch ein Gespür dafür zu bekommen, wie es wohl gewesen sein könnte, als der Namenspatron und Gründer der Hochschule, Felix Mendelssohn, auch er fünfundzwanzigjährig im Herbst 1834 mit einem Tross überwiegend ähnlich junger Leute in Düsseldorf das Stadttheater aus der Taufe hob.

Der Nexus von Matthias Oldags Inszenierungskonzept ist der denkbar naheliegende: Seine Regiearbeit konzentriert sich ganz und gar auf einen bunten Reigen komischer, munterer, witziger Einfälle, der das Kind im Prinzip nicht mit dem Bade ausschüttet. Denn Buffo-Oper bleibt bei Oldag Buffo-Oper – und die so entstehende Regie-Ebene ist folgerichtig eine Ebene des Spiels im Spiele, die vom derben Kalauer bis hin zum Sprachspiel mit dem Wort SEVILLA reicht, das er in großen roten Styropor-Buchstaben in allen denkbaren Konstellationen (ELVIS, EVA, LAVE, ESL etc. pp) und durchaus schlüssig zum Handlungsverlauf optisch einarbeitet. Es ist erstaunlich, wie es Oldag dabei gelingt, aus den im abstrusesten Überschwang heraus geborenen Einfällen die Kurve zu kriegen zu einer sinnhaften Wendung. Hier begegnen sich die schöpferische Laune, von der auch Rossinis Musik kündet, und ein beträchtlicher Schauwert, der zeigt, dass Oldag sein Handwerk versteht.

Allerdings hat er dabei eines übersehen: Rossini war ein Gourmet. Ein Gourmet ist ein Mensch, der die Geschmacksbildung zur Wissenschaft erhoben hat. (Zu den Eigenschaften des Gourmets vgl. Jean Anth?lme Brillat-Savarin, Physiologie du go?t, Paris 1825.) Nur die auserlesensten Zutaten werden dezent, ja fast demütig, aber in der denkbar raffiniertesten Form verarbeitet. Kurz: es gibt eine Stufe von überlegener Ironie, die spürbar aber unsichtbar im Raum schweben muss, eine professionelle Doppelbödigkeit also, mit der erst die eigentlich interessante Tonlage in Rossinis „Barbier“ getroffen wird.

Oldag neigt dahingegen da und dort zur illustrativen Überbetonung, manchmal zu wildem Aktionismus. Dass mag gut und gerne in der Tradition der Commedia dell’Arte stehen, aber es bleibt dabei zu bedenken: Bei Rossini kommt es genauso wie bei der Ausführung der atemberaubenden Ornamentik in der Musik auf Präzision an. Und das heißt, was das Feuerwerk an lustigen Einfällen betrifft: zuviel wahlloser Aufwand an Nebeneinander – was andererseits die darstellerische, szenische Arbeit angeht: noch zuviel ungenutztes Potenzial am Ineinander in der Feinarbeit von Figurencharakteristiken durch Gesten, durch nicht überzogene Mimik und durch konzentriertere Bewegungsabläufe. Im Weglassen bestünde auch hier die Kunst, wenn man das Entbehrliche anderswo, eben versteckt, wieder hinzufügt. So trifft Oldags Humor insgesamt zwar nicht genau ins Schwarze, aber es ist immerhin ein unbestritten liebenswürdiger Humor, der niemals verletzend wirkt oder zynisch wird, sondern immer witzig bleibt und mit sehr bemerkenswerten launischen Einfällen das Publikum auf seine Seite zu ziehen versteht.

Die Kostüme von Andrea Kannapee sind da schon eine Spur raffinierter. Es ist sehr beeindruckend zu sehen, wie sie aus ganz leicht zu besorgenden Alltagsgegenständen eine optische Figurenwelt hervorzaubert, die einerseits eine historische Dimension andeutet, zugleich aber mit der gegenwärtigen Mode postmoderner Popkultur spielt. Kosten und Nutzen stehen dabei überdies im idealen Verhältnis (das soll aber keine Anregung für das Leipziger Opernhaus sein). Nichts erscheint etwa charakteristischer als den Doktor Bartolo in einen Ärztekittel zu stecken und mit einem Stethoskop auszustatten. Einfach gelungen. Auch das Bühnenbild von Wolfgang Reuter kommt mit solchen einfach genialen Andeutungen und Reduktionen aus und nutzt die begrenzten Möglichkeiten optimal. Durch das Weniger entsteht hier das entscheidende Mehr. Das betrifft ebenso das abwechslungsreiche und ausgetüftelte Lichtdesign. Zu begrüßen ist die Entscheidung, Rezitativteile auf Deutsch, Arien auf italienisch zu singen; allerdings mangelt es in der angebotenen Übersetzung nicht an offenkundigen Stilbrüchen („Mehr noch zündelt mit im Hirne“).

Unter den sängerischen Leistungen der Premiere I ragen einige Darsteller heraus: vor allem Felix Plock als Bartolo mit einem tragenden, gleich bleibend kraftvollen, voluminösen Buffo-Bassbariton sowie lippenakrobatischem Parlando und Rahel Haar, die als Marzelline ideal besetzt war: mit einem vollem Organ, guter Artikulation und mit der nötigen spielerischen Leichtigkeit ihrer unangestrengt und schwungvoll federnden und modulationsfähigen Stimme. Moran Abouloff als Rosina zeigt zwar insgesamt bedeutendes und sehr hoffnungsvolles Talent, neigt aber in Koloraturen, in der Feinheit der Ornamentik und Kantilenen sowie beim Aufziehen ihrer Stimme noch etwas zum Schrillen; hier hätte man noch ein wenig mehr Sensibilität in der Stimmführung erwartet, auch die Rezitativpassagen waren da und dort noch etwas undeutlich. Alexander Voigt in der Hauptrolle glänzt durch schauspielerische Präsenz auf der Bühne, durch Witz und Wendigkeit, wirkt souverän und unbeirrbar, stimmlich ist sein Barbier tapfer, autark und charaktervoll ausgesungen, wenn auch nicht völlig stringent durchgearbeitet. Den sehr schwierigen halsbrecherischen Intervallsprüngen, der Geschmeidigkeit der Kantilenen fehlt noch der letzte Schliff, aber Voigt macht das durch sein entschiedenes Talent zum Buffo-Charakter wieder wett. Paul Kauffmann als Graf Almaviva steigert sich im Verlauf des Abends und leistet Beträchtliches: gute Intonation, schön aufgespannte Bögen, manche gelungene lyrische Passage. Hervorzuheben ist das homogene stimmliche Zusammenwirken in den Ensemble-Passagen.

Das Hochschulorchester unter der Leitung von Helmut Kukuk macht seine Sache gut und erfreut durch soliden Orchesterklang. Leider sticht das Blech passagenweise noch etwas überdeutlich hervor, in den Violinen erscheint das Staccato bzw. atemlose zu spielende Stellen etwas hart. Doch ist die große Leistung, diese artistische Partitur zweifellos mit Anstand und Würde gemeistert zu haben unbedingt zu würdigen. Kritisch anzumerken ist lediglich noch, dass das Orchester die wirklich nicht gerade kraftlosen Sänger bisweilen hoffnungslos übertönte.

Alles in allem ein durch ihre konzeptionelle Stimmigkeit insgesamt überzeugende, in sich schlüssige und gelungene Darstellung, die bewies, dass die Hochschule ihrer Aufgabe, professionellen Nachwuchs heranzuziehen vollauf gerecht wird. Schön wäre es, wenn sich eine der nächsten Produktionen eventuell nicht einmal mehr mit einem gängigen Repertoirestück beschäftigen würde, sondern eine Neuentdeckung verspräche. An der Oper Leipzig wird diese Idee (besonders in der Reihe Oper am Klavier) vom Publikum dankbar angenommen; und Konkurrenz würde schließlich das Geschäft beleben.

(Sebastian Schmideler)

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