Philip Glass:
„Waiting for the Barbarians“
Oper in zwei Akten nach dem gleichnamigen Roman von John M. Coetzee (1980)
Libretto von Christopher Hampton
Auftragswerk des Theaters Erfurt
1. Vorstellung nach der Uraufführung am 10. 9. 05
Samstag, 17. 9. 05, 19.30 Uhr, Theater Erfurt
Musikalische Leitung: Dennis Russell Davies
Regie:Guy Montavon
Bühne:George Tsypin
Kostüme:Hank Irwin Kittel
Lichtgestaltung: Thomas Hase
Choreinstudierung:Andreas Ketelhut
Dramaturgie:Dr. Arne Langer
Philharmonisches Orchester Erfurt
Opernchor des Theaters Erfurt
Philip Glass in Erfurt
Philip Glass = minimal music, dagegen hat sich der Altmeister der modernen Musik in Amerika stets verwahrt. Mit „Waiting for the Barbarians“ legt er seine 21. Oper vor. Das Theater Erfurt, seit drei Jahren in einem nagelneuen Haus, versucht sich mit diesem Auftragswerk überregional Gehör zu verschaffen. Mit dem Konzept – man beauftragt den bekannten amerikanischen Komponisten mit einer Oper über das leicht zu vermittelnde aktuelle Thema der Bedrohung der sogenannten zivilisierten Welt – konnte man sich der medialen Aufmerksamkeit sicher sein. Leider war diese einfache Rechnung für die künstlerische Qualität der Inszenierung nicht hilfreich.
Das Libretto der Oper stammt von Christopher Hampton. Als Dramatiker auch auf deutschen Bühnen präsent, hat er auch Vorlagen für das Musiktheater geschaffen und selbst Drehbücher verfasst, für welche wiederum Philip Glass die Musik geschrieben hat. Hamptons Vorlage ist der Roman „Waiting for the Barbarians“ des südafrikanischen Nobelpreisträgers John M. Coetzee. In einer Grenzstadt eines nicht näher definierten Reiches wird die Auseinandersetzung mit nicht zur Gemeinschaft gehörenden außerhalb lebenden Nomaden, den Barbaren thematisiert. Mit Barbaren werden seit der Antike Menschen bezeichnet, deren Sprache man nicht versteht und über deren Lebensweise und Kultur man nur Vermutungen anstellen kann. Coetzee vermeidet in seinem Roman jegliche ethnische Parteinahme oder geografische Hinweise. Ihn interessieren die menschlichen Verhaltensweisen, welche zu den Angstzuständen führen, die das Unbekannte in uns auslöst, und weshalb diese Angst oft in Aggression und im Extremfall in Vernichtungswillen umschlägt. In Coetzees Stoff gibt es keine Helden. Es wird versucht, die Täter auf der einen und die Opfer auf der anderen Seite psychologisch auszuleuchten. Der Präfekt der Grenzstadt bildet die Klammer zwischen diesen Extremen. Verstrickt in die Schuld seines Reiches in der Gewalt gegen die „Anderen“ ergreift er für die Opfer Partei, entzieht sich damit dem kulturlosen Schwarz-Weiß, diskreditiert sich dadurch aber bei Tätern und Opfern gleichermaßen.
Das Libretto hält sich eng an die literarische Vorlage, es werden keine Charaktere entwickelt. Das Erzählen, die Reflexion über die Vorgänge in der Grenzstadt steht für sich. Für Philip Glass und seinen repetitiven Musikansatz ein nahezu ideales „Material“. Seine rein tonale Musik verwehrt sich der klassischen Entwicklung, in ausgedehnten Wiederholungen werden durch geringfügige Verschiebungen meditative Stimmungen erzeugt. In der Tradition indischer und afrikanischer Musik arbeitet er mit kleinsten Intervallen, die dann eine suggestive Kraft erzeugen sollen. Im Kontrast dazu entwickeln sich illustrative Motive, die sich inhaltlich am Stoff orientieren. In diesem traditionellem, zum Teil an Kompositionen Kurt Weills erinnernden, Klangbild spielt eine Kontrabassklarinette eine besondere Rolle.
Ein Libretto ohne ausgeprägte Figuren, die Musik reduziert, ist zum Teil so dünn, dass man in der zehnten Reihe das Umblättern der Noten hören kann. Keine leichte Aufgabe für den inszenierenden Intendanten Guy Montavon und sein Team um den Bühnenbildner George Tsypin. Im Versuch die Oper mit klassischem Regietheater und einer phantasievollen, sich ständig wandelnden Ausstattung auf die Bühne zu bringen, scheitern sie grandios: der introvertierte fragile Stoff wird mit Bildern geradezu erschlagen. Leichen schweben ununterbrochen über der Bühne, mit Stöcken schlagende Schergen misshandeln Gefangene in so deutlicher Manier, dass im Publikum schon mal jemand zusammenzuckt. Erdrückend auch die schmierigen Männerphantasien des Präfekten: vermittelt durch die Köchin mit dem Küchenmädchen „Stern“, später mit dem Barbarenmädchen „Girl“, am Ende mit der Köchin selbst. Selbst gefangen genommen wird der Präfekt gezwungen, die Hinrichtung von Gefangenen mit anzusehen. Die gefangenen Frauen werden, mit freiem Oberkörper und mit in Kapuzen verhüllten Köpfen zum Schafott geführt. Die damit assoziierenden Vorstellungen, den medialen Rummel um das amerikanische Gefangenlager Guantánamo Bay auf Kuba und die Misshandlungen im Irak, vor allem aber die kalkulierte Vermischung von Gewalt und pornografischer Perversion nehmen der Inszenierung jegliche Plausibilität im Sinne von analytischen Reflexionen über die Themen Angst vor Anderen und Aggressionen gegen Fremde.
Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, die Leistung des Ensembles zu beurteilen. Die sehr zurückhaltende, zum Teil auch in quälender Gleichförmigkeit verlaufende Musik erhielt nicht die Chance sich zu entfalten, ebenso die spartanischen Gesangspartien, die streckenweise nur auf Sprechgesang reduziert sind. In der Verweigerung der klassischen dramaturgischen Elemente des Musiktheaters ist diese neue Oper für jedes Regieteam sicher eine schier unlösbare Herausforderung. Das erste Mal ist es leider nicht gelungen, schade für Erfurt!
(Steffen Kühn)
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