„Extraño”, ein Film von Santiago Loza (Sarie Teichfischer)

Extra?o
Argentinien 2003, 87 Min.
OmU (Deutsch und Französisch)
Regie + Buch: Santiago Loza
Darsteller: Julio Chávez, Valeria Bertuccelli
(Kinostart: 25. August 2005)
Cinémat?que Leipzig in der naTo, 25.10.2005

Fotos: KairosMelancholie auf Holzstühlen

Kinobesuche in der naTo können ein Genuss sein – leider aber nicht für Gesäß und Rücken. Einige Filme machen das vergessen, andere erinnern wiederholt schmerzhaft daran. Extrano ist so einer, wenn er auch nicht im eigentlichen Sinne als schlecht zu bezeichnen ist. Nicht einmal als ausdrücklich langweilig, einfach als anders. Langatmig vielleicht. In der Fachpresse würde es heißen: ein langsamer Streifen.

Santiago Loza, seines Zeichens junger argentinischer Regisseur, drehte seinen ersten Spielfilm im Herbst 2001. Schon zu dieser Zeit war die Situation in Argentinien sehr angespannt. Der erste Drehtag fiel dann zufällig auch auf den 11. September; ab diesem Tag drohte Kriegsgefahr. Loza und sein Team beschlossen, trotzdem zu drehen – und zwar ohne jegliche Änderung des Drehbuches. Während der dreimonatigen Dreharbeiten stürzte das Land noch in eine katastrophale ökonomische Krise. Loza stellte sich die Frage: Darf man einen so intimen Film drehen, während ringsum die Menschen gegen den Hunger auf die Straße gehen? Er tat es.

Axel ist um die 40, ein Chirurg außer Dienst, warum weiß niemand. Er hat scheinbar alles verlassen und lebt vorübergehend – niemand weiß, wie lange schon – bei seiner Schwester und ihren Kindern. In einem Café – wo sonst? – trifft er eines Tages die Schwangere, hilft ihr beim Kartontragen und findet sich wenig später in eine Beziehung zu ihr verstrickt, die soweit geht, dass er zu ihr zieht. Was die beiden verbindet, scheint allein die Traurigkeit, die geteilte Sehnsucht nach einer Zeit, die entweder vergangen ist oder noch kommt. Die Gegenwart ist es jedenfalls nicht. Besonders Axel scheint ein Fremder geworden zu sein in seinem eigenen Leben.Extra?o – fremd. Woher kam die Idee für diesen Titel? „Fremd kann sich jeder fühlen angesichts dieses Systems, das uns umgibt“, sagt der Regisseur. Im Spanischen schwingt in diesem Wort außerdem ein Unterton von Trauer und Nostalgie mit. Und genau das ist es, was sich während des ganzen Films auch von der Leinwand spinnt. Keine der Figuren will so richtig glücklich werden, keine will aber auch ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Am wenigsten Axel, der Chirurg, gespielt von Julio Chavez. Inzwischen einer der angesehensten Theater- und Kinoschauspieler Argentiniens, entlockt die Handlung ihm nicht mehr als eine Handvoll Sätze.

Die Kamera hält Situationen scheinbar ewig aus, wodurch nicht selten Spannung entsteht. Man wird gezwungen, auch solche Details lange anzusehen, bei denen man eigentlich längst weggucken würde – die Muttermale auf Axels schlafendem Rücken zum Beispiel.

Gegen Ende des Films häufen sich die Zugfahrten der Hauptfigur, die dabei nie etwas anderes tut, als nachdenklich dreinzuschauen und sich am Kinn zu kratzen. Kameraaufnahmen aus dem fahrenden Bus lassen einem schwindlig werden, und man wird zunehmend wütend auf den Regisseur. Wozu das alles, kommt hier noch ein Pointe, und wenn ja, wann? Die anderthalb Stunden sind doch fast um! Was auffällt: Axel liegt öfter in Betten und wird von Frauen gefragt, ob sie das Licht löschen sollen. Tiefere Bedeutung dieser Szenen? Die harten Holzstühle verhindern weiteres Nachsinnen. Zwischendurch Sätze wie „Man kann keinen Hund suchen, der keinen Namen hat.“ Ist das jetzt ein guter Spruch oder einfach nur Nonsens? Frauen kommen und gehen, sind oder waren Stationen in Axels Leben. Er scheint der personifizierte Anti-Held, denn Helden nehmen die Dinge in die Hand – Axel lässt sie geschehen.

Die Filmmusik ist eine Klaviersonate, Beethoven nicht unähnlich, und ersetzt Dialoge, unterstreicht Melancholie und lässt auf Action hoffen.

Während das alles vor einem abläuft, kommt einem hin und wieder die Überlegung, besser ins Beyerhaus zu gehen. Dort sind die Sitze weicher.(Sarie Teichfischer)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.